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Paul Scarron's „Le Marquis ridicule" und seine

spanische Quelle.

Ein Beitrag zur Geschichte der Figuron-Comedia.

Als Paul Scarron im Jahre 16441) auf den Gedanken kam, für das Theater zu arbeiten, war die spanische Comedia durch Dichter, wie Rotrou, Corneille, D'Ouville, Bois-Robert u. a. bereits so auf der französischen Bühne eingebürgert, daß der arme, auf raschen und leichten Verdienst angewiesene Dichter ganz von selbst auf den gleichen bequemen Weg zu dramatischem Ruhme oder lohnender Einnahme kommen mußte. Ein gut unterrichteter Biograph Jean Rotrous, Dom Liron, sagt allerdings von letzterem: 2) Il fut lié d'une étroite amitié avec M. Scarron." Wenn das richtig ist, so spricht große Wahrscheinlichkeit dafür, daß es Rotrou war, der Scarron auf die spanische Literatur hinwies, der er bisher ferngestanden hatte, die er aber von da ab bis an sein Lebensende nicht mehr aufhörte auszubeuten.

Daß schon die Zeitgenossen, wenigstens zum Teil, über die spanische Herkunft der Lustspiele Scarrons unterrichtet waren, bezeugt eine von den Brüdern Parfaict 3) zitierte Stelle aus einer Epistre Sarrazins an den Grafen van Fiesque, die, kurz nach der Aufführung von Scarrons Erstlingslustspiel Le Jodelet ou le Me Valet geschrieben, die Quelle folgendermaßen bezeichnet:

Dom Francefco de Roxas eft l'Autheur

Et Paul Scarron comme ay dit tranflateur.

1) Die Brüder Parfaict setzen (VI B., S. 327, 357) die Aufführung von Scarrons Erstlingslustspiel in das Jahr 1645. P. Morillot glaubt, (Scarron, Etude biogr. und litt. 1888, S. 270), dafs es erst 1645 verfafst worden sei. Nachdem indes das Privileg des Druckes vom 25. April 1645, das achevé d'imprimer vom 20. Mai datiert ist, kann das Stück nicht später als 1644 entstanden sein; der Dichter verkaufte es doch zuerst an die Schauspieler, die es lange Zeit allein aufführten, und dann erst an den Buchhändler, denn sobald es gedruckt wurde, durfte es jede Truppe aufführen.

2) Singularités histor. et littéraires Bd. I, S. 332.

3) Hist. du Theatre françois Bd. VI, S. 341. Die Stelle ist von ihnen dem weiter unten genannten de la Martinière (Euvres de Scarron Amst. 1737 I. Bd., S. 48/49) entlehnt.

Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXII 1.

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Natürlich ist es sehr zu bezweifeln, daß die Zeitgenossen immer genau unterrichtet waren, welche spanischen Comedias Scarron bearbeitete.

Im 18. Jahrh. war man sich, wie es scheint, über die Beziehungen des Dichters zum spanischen Theater meist nicht mehr im Klaren. Baillet, Maupoint, Beauchamps La Vallière, Mouhy, Leris, der Abbé de La Porte, Palis sot u. a., seien es Literarhistoriker oder Theaterspezialisten, deuten mit keinem Worte darauf hin. Nur de la Martinière, der Biograph Scarrons, 4) den Parfaict5) und Goujet6) kopieren, sagt von seinen Stücken: „,toutes les siennes sont des Sujets Espagnols," aber auch ohne nähere Angaben. Erst gegen Ende des 18. oder anfangs des 19. Jahrh. begegnet man hin und wieder einer Notiz, die die Verpflichtung Scarrons gegen das spanische Theater auffrischt.) So erwähnt z. B. Napoli-Signorelli in seiner Storia Critica de' Teatri Antichi e moderni, 8) daß Scarron die Comedia El Marquès del Cigarral ins Französische übertragen habe „intitolandola Don Japhet, ma non contentandosi di retenerne le grazie, la caricò fuor di proposito."

Die genauere Kenntnis der Vorlagen von Scarrons Lustspielen hebt mit Puibusque) an, welcher 1843 alle als dem spanischen Drama entnommen bezeichnet, aber freilich nur bei vieren nähere Angaben macht, die dazu noch nicht ganz richtig sind. Er nennt für 1. Jodelet ou le Maître valet den Amo criado des Francisco de Rojas

2. Jodelet duelliste, Donde bay agravios no hay zelos, même

auteur.

3. Don Japhet d'Arménie den Marquez del cigarral des Moreto.

4. Le Gardien de soi-même den, Guarda de si mismo Calderons

Es ist längst gezeigt worden, daß das zweite spanische Stück nur der zweite Titel des ersten spanischen Stückes ist, daß der Marques del Cigarral nicht von Moreto, sondern von Alonso de Castillo Solórzano ist und daß Calderons Comedia nicht Guarda de si mismo, sondern El Alcayde de si mismo heißt.

4) Hist. de Mr. Scarron et de ses Ouvrages, gedruckt im I. Bde. der Œuvres Scarrons (Amst. 1737). Die Stelle findet sich S. 52.

5) Bd. VI S. 341, 354 ff.

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6) Bibliotheque française Bd. XVI S. 326 ff.

7) So kennt z. B. Linguet in seinem Théâtre Espagnol (Paris De Hansy 1770) I. Bd. Avertissement p. XVI bzw. XXIII ausser der Quelle des

Me. Valet auch die von La fausse apparence.

8) Ausgabe Napoli (V. Orsino) 1787 ff. Bd. IV (1789) S. 256. Ausgabe 1813 (Napoli V. Orsino) Bd. VI S. 89.

9) Histoire comparée des Litt. espagnole et française (Paris, G. A. Dentu) 1843. II. Bd. S. 189 und S. 444.

Unabhängig von Puibusque hatte Graf Schack 1846 die. Quellen von zwei Stücken angegeben 10). Le Gardien de soi-même (El Alcayde de si mismo) und Don Japhet d'Armenie (Marques del Cigarral). In den Nachträgen zu seinem Buche, die 1854 erschienen, gibt er noch als Quelle von Scarron's Les trois Dorothées (Jodelet duelliste) Tirsos No hay peor sordo und für dessen La fausse apparence Calderons No siempre lo peor es cierto an. 11) Durch einen naheliegenden Schluß war zugleich 12) als Quelle von Scarrons L'Efcolier de Salamanque die Comedia Obligados y ofendidos von Rojas Zorilla festgelegt.

Seitdem waren diese Angaben immer wiederholt worden, ohne daß etwas Neues hinzugekommen wäre, bis Morillot13) 1887/88 als Quelle für Les trois Dorothées, La traycion busca el castigo des Rojas Zorilla angab, wobei ihm indes unbekannt blieb, daß die Hauptquelle Tirso's No hay peor sordo war.

Die Arbeiten von Gröhler 14) und Peters 15) brachten die Quellenforschung betreffs Scarron's Lustspiele um keinen Schritt weiter. Der erstere verglich nur Le Maistre Valet mit seiner längst bekannten Vorlage und der letztere hatte das seltsame Findergenie, die drei oben an letzter Stelle genannten spanischen Stücke nochmals als Quellen des burlesken Dichters zu entdecken. Verglichen mit Scarron hat er die zwei, die nach seiner Meinung die einzigen Vorlagen von Les trois Dorothées waren.

Es waren sonach 1893, nach dem Erscheinen der Dissertation von Peters, vor wie nach, die Quellen von sechs Lustspielen Scarrons bekannt, nämlich die von

1. Le Maistre valet,

2. Les trois Dorothées (Jodelet duelliste),

3. Don Iaphet d'Arménie,

4. L'Efcolier de Salamanque,

5. Le Gardien de foy-mefme,

6. La fausse apparence.

hiervon aber nur die beiden ersten anf ihr Verhältnis zur Quelle geprüft worden. Die Vorlagen der beiden noch übrigen Komödien

Scarrons:

10) Geschichte der dramat. Lit. u. Kunst in Spanien Bd. III (Frkf. 1846) S. 447 und 448.

11) S. 104.

12) Ibid.

13) Scarron, Etude biogr. et littéraire (Thèse pour le Doctorat) Paris H. Lecène et H. Oudin 1888. S. 279.

14) Paul Scarron als Komödiendichter (Zsch. f. franz. Spr. u. Litt. XII, S. 27, 66).

15) Paul Scarrons Jodelet Duelliste" u. seine Quellen etc. (Münchener Beiträge Heft 6).

L'Heritier ridicule und
Le Marquis ridicule

lagen völlig im Dunkeln.

Im Jahre 1895/96 wies ich zum ersten Male nach 16):
1. Scarron hatte für Les 3 Dorothées ou Jodelet souffleté
nicht zwei sondern mindestens drei Vorlagen. Die Neben-
handlung des Stückes, die Duellsache Jodelets, die dem
Lustpiel in der jüngeren Ausgabe (Jodelet duelliste) den
Namen gegeben, ist nicht, wie Peters angenommen, „durch-
aus Scarrons eigene Erfindung", sondern er entnahm sie
dem Lustspiel des Rojas Zorilla, betitelt: No hay amigo
para amigo, in welchem sie ebenfalls die Nebenhandlung
bildet. Direkt entlehnt hat er allerdings nur die zweite
Scene des II. Aktes, den ersten Teil der achten Scene des
IV. Aktes und die erste und zweite Scene des V. Aktes
von Les trois Dorothées.

Diese Wahrnehmung, daß Scarron gleich seinem Vorläufer und Vorbild Jean Rotrou, bei seinen Lustspielen, zu Contaminationen griff, mahnt uns zu Vorsicht betreffs der Beurteilung seiner Selbständigkeit in den übrigen Stücken.

2. Die Quelle für Scarrons L'Heritier ridicule ist die Figuron -Comedia El Mayorazgo figura des Don Alonso de Castillo Solórzano 17).

Von der Überzeugung durchdrungen, daß über kurz oder lang irgend ein strebsamer junger Gelehrter das Verhältnis Scarrons zum spanischen Drama in eingehender erschöpfender Weise darstellen und dabei von selbst auf die noch unermittelte, mir aber bekannte Quelle des letzten Stückes, des Marquis ridicule stoßen würde, hatte ich mich mit den Lustspielen des Verfassers des Roman comique nicht mehr beschäftigt. Mehr als zehn Jahre sind seitdem verflossen; meine Hofnung hat sich als trügerisch erwiesen; mir ist wenigstens keine neue Arbeit über die Quellen der Scarron'schen Lustspiele bekannt geworden. Das veranlaßt mich, aufs neue auf den Lustspieldichter Scarron hinzuweisen, dessen Bedeutung für die Literaturgeschichte in den letzten Jahren entschieden gewachsen ist. Mir selbst fehlt die Zeit, die angedeutete Arbeit in ihrem ganzen Umfange auszuführen, und offen gestanden auch die rechte Lust, weil ich nicht gerne Hand anlege, wo es sich darum handelt, über bereits bekannte Tatsachen, in diesem Falle über bereits bekannte Quellen, zu reden. Lediglich um die noch unbekannte Quelle des Marquis ridicule, des letzten noch zu Lebzeiten des Dichters gedruckten Lustspiels aufzudecken, ergreife ich heute die

16) Zsch. für franz. Spr. u. Litt. Bd. XVI2 S. 96 ff.
17) Literaturbl f. g. u. rom. Philol. 1896 S. 275.

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