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facto ganz unabhängige und selbständige Regierung zu bringen.244)

48. Der zweite Begriff dagegen scheint nicht deshalb in starkem Gegensatz zu der romanistischen Überlieferung zu stehen, weil derselbe den Ursprung der Gewalt in den autonomen communitates in dem Willen des Volkes begründet (denn auch für die romanistische Schule stammt das Kaisertum von einem Willensakte des römischen Volkes her245), sondern deshalb, weil derselbe diesen Ursprung in den vom gegenwärtigen Willen des Kaisertums oder der an Stelle des Kaisertums eingetretenen Regierung ganz unabhängigen, aktuellen, direkten, tatsächlichen Willen des Volkes jeder autonomen communitas verlegt. Schliesslich aber ist dieser Begriff nichts anderes als die ausdrückliche und feierliche Anerkennung einer bestimmten tatsächlichen Lage, oder besser gesagt, ihre feierliche Umwandlung in eine Rechtslage, d. h. die wissenschaftliche und juristische Sanktionierung der freien Autonomie und der schon bei jeder Autonomie siegreichen direkten Volkssouveränetät. Und der Begriff selbst wird in einigen anderen für die Geschichte des italienischen Staatsrechtes der Renaissance wichtigen Worten des Bartolus noch erläutert: Cum quaelibet civitas... dominum non recognoscat, in se habet liberum populum et habet merum imperium in ipsa et tantam potestatem habet in ipsa, quantam Imperator in

244) Vgl. z. B. Bald, ad L. 16 Cod. De sacr. eccl. 1. 1„,. . . in primis, provinciae quae consueverunt regi per Principes et Reges debent esse sub eo domino naturali, et si alius accipit ibi dominium contra voluntatem Regis vel Principis, est tyrannus . . .“

245) Vgl. Glo. ad L. 8. Dig. De leg. et sen. 1. 1; ad L. 1. Dig. 1. 4; ad L. 1. Dig. 1. 11; ad L. 9. Dig. 1. 3; a d L. 2. Cod. 8. 53; a d L. 11. Cod. 1. 17. etc.: so der Glosse folgend, Jacop. de Arena, ad Instit., de act. 5; Cynus, ad L. 4. Cod. 5. 4; Bartol., a d L. 8. Dig. 1. 2; Bald.

a d L. 1. Cod. 1. 1. etc., und bei den Publizisten, Dante, De Monar c h. III. c. 13-14; Lupold. von Bebenburg, De jur. regn. etc. c. 5; Ockam, Octo quaestion. q. c. 4. 5; Dialog. III. 2. 1. c. 27. 28 etc.: vgl. darüber Gierke, Deutsche Genossensch. III. 575 und Johan n.

Althus. s. 79; Ercole I m p. e Pap. 114 f.

universo .

246) Es ist jedenfalls zweifellos nicht schwer. die ideellen Ursprünge dieser Lehre festzustellen.247)

49. Man kann jedoch behaupten, dass der Begriff des Bartolus gleichzeitig als eine partielle Anwendung und eine bedeutende Vervollständigung der Lehre des Marsilius zu betrachten ist.248) Obgleich jede Unterscheidung zwischen einer Tyrannis exercitio und einer Tyrannis ex def. tit. Marsilius unbekannt war, hatte er jedoch nicht nur auf die Art und Weise der Herrschaftsausübung, sondern auch auf den Ursprung der monarchischen Gewalt Gewicht gelegt:249) für ihn stand sogar die Art und Weise der Herrschaftsausübung in einem untrennbaren und notwendigen Abhängigkeitsverhältnisse zum Ursprung der Gewalt; denn, Marsilius nach, muss der Herrscher immer, in dem Augenblicke der Ergreifung der Gewalt sowie in jedem Augenblicke seiner Regierung, dem Willen der Untertanen entsprechen; und daher liegt bei ihm der Unterschied zwischen rex und tyrannus nicht darin, dass der Tyrann schlecht und gemeinschädlich regiert, sondern vielmehr darin, dass der Tyrann gegen den Willen des Volkes regiert.250) Ausserdem hat die Theorie des Marsilius eine ganz

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246) Bartol. ad L. 6. Dig. 48. 1: so ad L. 4 Dig. 50. 9. n. 7: „,. populus sine superiore habet ipse in se imperium . . ." vgl. I m peroe Papato, s. 139 anm. 1.

247) Für die Geschichte und die Grundlagen der Lehre der Volkssouveränetät, vgl. besonders Bezold, Die Lehre von der Volkssou v eränetätim Mittelalter, in Histor. Zeitschr. Bd. XVIII. 1876. s. 313 ff.; und die Anmerkungen von Gierke, Deutsche Genos s. III. 568ff. und Johann. Althusius cit. 123 ff.: auch Rehm, Gesch. 192 ff.

248) Ueber die Lehre des Marsilius vgl. Riezler, Die literarischen Widersacher der Päpste zur Zeit Ludwigs des Bayern. Leipz. 1874. s. 193 ff.; Labanca, Marsilio da Padova. Padova. 1882. s. 125 ff.; Gierke, Deutsche Genossensch. III. 581 ff.; Janet, Hist. dela science polit. I. s 457 ff.; Rehm, Gesch. s. 196 ff. etc.

249) Vgl. Marsil. Patav. Defensor Pacis, in Goldast, Mon. Rom. I m p. II. f. 154 ff.; Dictio I. p. 1. c. 9: „,. . . De modis instituendi regalem monarchiam et perfectionis assignatione .

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etc."

... omnis

250) Marsil. Patav. Defensor Pacis D. I. p. 1. c. 9: principatus, vel est voluntariis subditis vel involuntariis. Primum est genus

allgemeine Tragweite; und kann auf jeder Regierungsform Anwendung finden; denn die Zustimmung des Volkes kann sich entweder ausdrücklich durch freie und feierliche Wahl oder stillschweigend durch Einwilligung zu einer erblichen, despotischen, monarchischen Regierung offenbaren.251) Bartolus dagegen scheint in seinem Traktate an eine stillschweigende Kundmachung des Volkswillen gar nicht zu denken und wendet die Lehre der Volkssouveränetät nur auf jene civitates an, die,,ius eligendi Rectorem habent . . ."; d. h. nur an die selbständigen oder autonomen civitates, wo eine äussere ausdrückliche Kundmachung des Volkswillens durch feierliche Wahl möglich und zulässig sei: nämlich nur an die unter freier Verfassungsform lebenden civitates.

Aber wenn er, nach der einen Seite hin, die Tragweite der Lehre des Marsilius einschränkt, so vervollständigt er nach der anderen Seite hin dieselbe Lehre; denn er steigt eine Stufe, die Marsilius nicht erstiegen. Wann wird in einer mit Selbstregierung oder mit Autonomie ausgestatteten civitas, eine monarchische Herrschaft,,involuntariis civibus" erworben? Auf diese Frage ist bei Marsilius keine bestimmte, genaue Antwort zu finden: die Antwort aber geht aus den Erörterungen des Bartolus hervor; die Gewalt sagt er wird,,involuntariis civibus" erworben, nicht nur, wenn in einer solchen Stadt der Herrscher zur Macht gelangt ist, ohne dass eine feierliche Wahl eingetreten sei, sondern hauptsächlich auch wenn die vorgefallene Wahl kein echter Ausdruck des Willen der Bürger

bene temperatorum principatuum, secundum vero vitiatorum. Distinguitur autem utrumque horum generum, in tres species sive modos. . . . (vgl. c. 8) . . . Participat autem quilibet dictorum modorum tanto amplius de vero regali, quanto magis est ad subiditos voluntarios et secundum legem latam ad commune conferens subditorum: tanto vero amplius tyrannidem sapiens, quanto magis exit ab his, consensu videlicet subditorum et lege ad ipsorum commune conferens instituta . . .“; c. 8:,,. . . Tyrannus est. . . principatus vitiatus, in quo dominans est unicus ad proprium conferens praeter voluntatem subditorum . . .“

etc.

251) Marsil. Patav. Defens. Pacis. D. I. p. 1. c. 9:,,. . . Sunt modi sive institutiones regalis monarchiae quinque ...“: das ganze Kapitel ist zu lesen.

ist, ja sogar diesem Willen widerspricht: wenn nämlich die Wahl eine vor dem Rechte nicht bestehende Willenserklärung ist.

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50. In dieser Vervollständigung der Lehre des Marsilius ist die entscheidende Einwirkung der juristischen Bildung des Bartolus und der allgemeinen romanistischen Überlieferung ersichtlich und unbestreitbar; und daraus ergibt sich deutlich der entscheidende Unterschied zwischen der altgriechischen Tyrannis und der italienischen Tyrannis der ersten Renaissancezeit. Sei es uns hier gestattet, einige Worte des Cornelius Nepos in der Biographie des Miltiades anzuführen: (Miltiades) in Chersoneso omnes quos habitarat annos perpetuam obtinuerat dominationem tyrannus que fuerat appellatus sed iustus. Non erat enim vi consecutus sed suorum voluntate eamque potestatem bonitate retinebat: omnes autem et dicuntur et haben tur tyranni, qui perpetua potestate sunt in ea civitate quae perpetua libertate usa est. . .252) In diesen Worten ist das Wesen der altgriechischen Tyrannis deutlich dargestellt: die Tyrannis also bestand nicht in der Gewalttätigkeit oder in der Hinterlist der Mittel, durch welche der Tyrann die Macht erworben hatte oder etwa in dem Missbrauch dieser Macht, sondern in der Ersetzung einer freien durch eine tatsächlich oder scheinbar unfreie Regierungsform, d. h. sie lag nicht in dem Widerspruche zwischen Regierung und Willen der Regierten, sondern in dem Widerspruche zwischen monarchischer Regierung und republikanischer Überlieferung. Die monarchische Regierung war daher nur als eine verfassungswidrige, nicht aber notwendig an und für sich als eine absolut unrechtliche Regierung betrachtet;253) denn man konnte natürlich nicht sagen, dass eine Regierung, die dem Willen der Untertanen entsprach und zu ihrem Gemeinwohl geschaffen war, eine vor dem Rechte nicht bestehende Regierung wäre. Aber ein solcher Tyrannisbegriff

252) Cornel. Nepot. Miltiades c. 8.

253) Vgl. oben s. 33.

war den publizistischen Neigungen und der romanistischen Überlieferung der Renaissance gegenüber ganz unmöglich: denn, ersteren zufolge, erschien jetzt das Volk jeder autonomen oder selbständigen civitas Herr seiner selbst und seiner Regierungs- und Verfassungsform; und letzterer zufolge, konnte man nur entweder innerhalb oder ausserhalb des Rechtes sein: die mittlere schwankende staatsrechtliche Lage der altgriechischen Tyrannis war für das politische und juristische Bewusstsein der Renaissance unbegreiflich. Und schliesslich war der Begriff von Verfassungswidrigkeit der tyrannischen Regierung fast verschwunden und hatte dem Begriffe von rechtlicher Nichtbeständigkeit den Vorrang gelassen.254) Eine Spur vom Verfassungswidrigkeitsbegriffe war tatsächlich noch geblieben, aber es handelte sich jetzt um einen ganz von dem griechischen verschiedenen: nämlich um den Begriff eines Widerspruches, nicht aber zwischen einer neuen und einer vorherbestehenden Verfassungsform, sondern zwischen der wirklichen Handlungsweise einer Regierung und der scheinbaren Form ihrer positiven Verfassung: und dieser Begriff ist in der Tyrannis velata et tacita des Bartolus ausgedrückt.255)

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Der Tyrannisbegriff Coluccios: seine Originalität und seine Quelle n.

51. Wir haben in den vorigen Seiten den langen Weg verfolgt, den der Tyrannisbegriff bei der klassischen und bei der italienischen mittelalterlichen publizistischen Überlieferung

254) Die Entgegensetzung zwischen tyrannischen und legitimen Regierungen entspricht also jetzt nicht der Entgegensetzung zwischen verfassungswidrigen und verfassungsmässigen Regierungen, sondern der Entgegensetzung zwischen rechtsnichtbestehenden und rechtsbestehenden Regierungen, d. h. zwischen Regierungen de facto und Regierungen de iure: vgl. z. B. Bartol. Tract. Represaliar. cit. n. 13: Quandoque tamen potest haberi copia de facto et non de iure: exemplo aliquis tyrannus occupavit multas terras de facto, non de iure: non est dominus . " etc.

255) Vgl. darüber oben s. 82 ff.

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