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weil die Regierung, die sie sich selbst freiwillig gegeben haben, durch die confirmatio der kaiserlichen Autorität anerkannt und bestätigt werden muss. Und die staatsrechtliche Bedeutung dieser Lehre liegt hauptsächlich darin, dass sie uns die beste Norm zur Feststellung darbietet, wann und auf welchem Wege die zahlreichen während der Renaissance in den italienischen Städten sich erhebenden de facto bestehenden Regierungen zu Rechtsregierungen geworden sind, d. h. auf welchem Wege diese Regierungen von der Nichtbeständigkeit vor dem Rechte zu einem vollendeten Rechtsbestande übergegangen sind.304)

B) Der Ursprung der Gewalt und die Volks

souveränetät.

64. Die Quelle der Gewalt liegt nach Coluccio hauptsächlich in dem Willen des Volkes, oder besser gesagt, in dem Willen der Mehrheit des Volkes.305) Als Tyrann e x de f. tit. ist daher nicht nur jeder Herrscher zu betrachten, dem die Gewalt von einem rechtsunfähigen Subjekte übertragen worden ist, sondern auch jeder Herrscher, dessen Gewalt nicht in dem Willen des Volkes ihren Ursprung hat: nämlich die Gewalt muss immer von dem Volke übertragen werden. Man steht so der Lehre von der Volkssouveränetät, nämlich der Einwirkung augenscheinlicher hergebrachter Begriffe und sehr leicht erkennbarer publizistischer Neigungen gegenüber, und kann an Johannes Sarasberiensis, Thomas, Dante, Marsilius denken, d. h. an Schriftsteller, die Coluccio bekannt waren.306) Auf zwei Bemerkungen muss jedenfalls hingewiesen werden.

65. Erstens erscheint die Volkssouveränetät bei Coluccio von jedem theokratischen Begriffe ganz unabhängig: nämlich

304) Vgl. darüber Impero e Papato s. 160.

305) Vgl. die System. Darstellung s. 20 ff.

306) Vgl. darüber Bezold, Die Lehre von der Volks souve ränetät im Mittelalter, in Histor. Zeitschr. cit. s. 313 ff.; Gierke, Deutsche Genossensch. III. 568 ff.; Rehm, Gesch. s. 192 ff.; Treumann, Die Monarchomachen etc. s. 18 ff. etc.

bei ihm ist scheinbar auch jede Spur dieser bloss indirekten Abhängigkeit des menschlichen Ursprunges der Gewalt von dem Willen Gottes verschwunden, die nicht nur bei Johannes Saraberiensis, bei Thomas, bei Dante, sondern auch bei Ockam, bei Marsilius, bei Bartolus, bei der ganzen bolognesischen romanistischen Überlieferung der Volkssouveränetät noch zu Grunde lag.307) Natürlich wird eine solche indirekte Abhängigkeit gar nicht von Coluccio zurückgewiesen; und wahrscheinlich war es auch nicht in der Absicht Coluccios, die Abhängigkeit zurückzuweisen; aber es scheint uns bemerkenswert, dass Coluccio sie mit Stillschweigen übergangen hat.

66. Zweitens, wird bei ihm die Volkssuoveränetätslehre durchaus nicht mit einer besonderen freien Regierungsform in Beziehung gebracht, in der der Ausdruck des Volkswillens durch äussere positive Kundmachungen, d. h. entweder durch Wahl oder durch feierliche Ernennung oder Anerkennung des Herrschers sich notwendig offenbaren muss; sondern sie wird als ein ganz allgemeiner für die Rechtfertigung jeder Regierungsform geltender Grundsatz angesehen, und zwar auch derjenigen Regierungsformen, bei denen das Volk seinen Regierenden die Gewalt entweder durch Wahl oder durch ausdrückliche Anerkennung tatsächlich noch nicht überträgt.308) Der Volkswillen kann sich also wie der Wille der Einzelnen, auch stillschweigend, nämlich durch stillschweigende Zustimmung einer schon bestehenden erblichen theokratischen oder monarchischen Regierung offenbaren, und so setzt die Volkssouveränetätslehre die Freiheit des Volkes nicht notwendig voraus. Und hier fällt,

307) Vgl. Baumann, Staatslehre des heil. Thom. cit. s. 176 ff.; Janet, Hist. dela science polit. I. s. 381 ff.: Ockam, Dialog. III. tr. 2. s. 1. c. 27:,,. imperium a Deo et tamen per homines scilicet Romanos ."; Marsil. Patav., Defens. Pacis. I. c. 9:,,... alie vero est principatuum institutio, quae scilicet ab humana mente immediate provenit, licet a Deo tamquam a causa remota . . .": für die bolognesische Überlieferung, vgl. die in Impero e Papatos. 114, anm. 1 angeführten Quellen.

308) Col. Salut. De Tyrann. c. 2 § 21:,,. . . statum quem legitimum iustitutum vel populi placitum ordinavit vel tacitus aut expressus consensus civitatis induxerit . . .'

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auf der einen Seite, die Abweichung der Lehre Coluccios von der Lehre des Bartolus,309) und anderseits ihre Übereinstimmung mit der Lehre des Marsilius in die Augen: denn auch nach Marsilius wird die stillschweigende Zustimmung des Volkes als eine geltende Kundmachung seines Willens betrachtet.310) Schliesslich findet so die Lehre von der Volkssouveränetät eine ganz allgemeine und absolute Anwendung, nicht nur bei den wirklich selbständigen und unabhängigen civitates oder bei den civitates, bei denen die Souveränetät des Superiors sich darauf beschränkt, die von dem Willen der civitas hergeleitete Regierung zu bestätigen, sondern auch bei den wirklich und absolut abhängigen, einen wesentlichen Teil eines grösseren politischen Organismus bildenden civitates, bei denen die Gewalt nur von der höheren Autorität übertragen werden muss. Denn auch bei diesen civitates besteht schliesslich die Grundlage des Abhängigkeitsverhältnisses der civitas zu der höheren Autorität in der ausdrücklich oder stillschweigend freiwilligen Zugehörigkeit der untertanen civitas zum höheren politischen Organismus. Was kann dadurch bewiesen werden, dass nach Coluccio das Recht dem Volke anerkannt wird, auch gegen den Superior zu empören, welcher die Gewalt tyrannisch ausübt.311)

309) Vgl. oben s. 76 ff.

99....

310) Vgl. Marsil. Patav. Defens. Pa c. I. c. 9: ... Alius modus est quod quidem. . . . principantur, habentes dominia ex praedecessoribus per successionem, secundum legem tamen ad monarchae conferens magis quam ad commune simpliciter quasi despotia. Sustinent enim habitatores illius regionis talem principatum nichil contristati propter ipsorum barbaram et servilem naturam... hic si quidem principatus regalis est quia patruis et voluntariis subditis, ut quia primi habitatores fuerant regionis praecessores monarchae e aliqualiter tamen tyrannicus propter non esse ipsius leges ad commune conferens... sed monarchae . . . Omnis principatus vel est voluntariis civibus vel involuntariis ... Rex seu monarcha vel instituitur per elctionem incolarum ... aut absque ipsorum electione rite obtinuit principatum: si absque civium electione, vel sic est, quia primus inhabitavit regionem aut ipsius praedecessores ex quibus traxit originem vel quia terram et iurisdictionem emit aut ipsam iusto bello acquisivit. . participat autem quilibet dictorum modorum tanto amplius de vero regali, quanto magis est ad subditos voluntarios . . . . .

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311) Vgl. Col. Salut. De Tyran n. c. 2. § 12:,,... An liceat contra dominum et superiorem insurgere qui per superbiam abuti ceperit principatu . . . .“

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67. Das Schweigen wird also als ein rechtliches Mittel zur Willenserklärung angenommen, das natürlich nur so lange gilt, als nicht eine ausdrückliche Willenserklärung der Mehrheit des Volkes selbst eintritt, um ihm zu widersprechen oder es zu widerrufen. Und natürlich muss jede ausdrückliche oder stillschweigende Willenserklärung dieser Mehrheit des Volkes eine von rechtlichem Gesichtspunkte aus vollendete und gültige, sogar eine zu Recht bestehende Erklärung sein: d. h. keinem rechtlichen Fehler oder vitium unterliegen.312) Es ist jedoch ganz klar, dass eine darauf folgende ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung der Mehrheit des Volkes eine ursprüngliche ungültige Willenserklärung des Volkes selbst heilen und bestätigen kann.312) bis

5. Die Tyrannis ex parte exercitii bei

Coluccio.

68. Jetzt kommt endlich die Tyrannis e x parte exercitii oder exercitio in Betracht. Diese war nach Coluccio der Missbrauch einer rechtmässig gewonnenen Gewalt: der Begriff dieser Tyrannis stand also in direkter Beziehung mit dem durch die klassische und mittelalterliche Überlieferung übermittelten allgemeinen Tyrannisbegriffe.313) Der Tyrann ist der

99...

312) Col. Salut. De Tyrann. c. 2. § 9: Et quoniam dissentiente republica plerumque contingit intestinum et civile certamen quotidianaque contentio et tollende discordie gratia tedioque rerum presentium dominus eligitur; quandoque vero tumultuante populo sine consilio vel delectu quidem in principem sublimatur, quandoque vero prevalente factionum potentia dum ad arma ventum est uni summa rerum defertur et totius regimen ac gubernatio delegatur, dubitaret forte quisquam nunquid taliter assumpti dici possint iustum titulum obtinere .

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312)bis) Col. Salut. De Tyrann. c. 2. § 8: forte tacitus ille consensus vel obedientia quoniam que per vim vel metum extorta sunt, resistencia quiescente non sint irrita . . . . tanti fuerit quod nisi prius superioris sententia contrarium declaretur similitudinem iusti principis obtinebit. . .“ vgl. aber Thom. A quin. In sec. Libr. Sentent. cit. dist. XLIV. q. 2. art. 2:,,. . . qui per violentiam dominium surripit, non efficitur vere praelatus vel dominus, nisi forte postmodum dominus verus effectus sit vel per consensum subditorum vel per auctoritatem superioris . . .

313) Vgl. oben s. 32 ff.

schlechte, gemeinschädliche Monarch. Man sieht daher, dass Coluccio, um die Tyrannis e x ercitio darzustellen, Ausdrücke und Worte anwendet, die unmittelbar auf diesen Begriff hinweisen: Tyrannus est sagt er qui superbe dominatur, qui per superbiam abutitur principatu, qui regit iniuste et iniustitiam facit et iura legesque non observat usw.314) Die Analogie ist jedoch zum grössten Teil mehr eine scheinbare als eine wirkliche, mehr eine formelle, als eine wesentliche. Zunächst unterscheiden sich der Begriff von Tyrannis exercitio bei Bartolus und bei Coluccio, und der vorausgehende hergebrachte Tyrannisbegriff dadurch, dass letzterer auf jede monarchische Regierung angewandt worden war, ersterer dagegen nur auf die rechtmässig gewonnene Regierung angewandt werden konnte.

69. Es gibt aber einen noch wichtigeren auf den Inhalt des Begriffes selbst sich beziehenden Unterschied. Dieser Inhalt war jedenfalls auch in der vorigen Überlieferung nicht unverändert geblieben: denn, wenn der oben erwähnte moralische Tyrannisbegriff immer in einer ethisch-politischen Schätzung und einer strengen Auffassung der positiven Handlungsweise des Monarchen bestanden hatte, hatte sich doch oft, den verschiedenen philosophischen und staatsrechtlichen Anschauungen und den verschiedenen politischen Neigungen nach, das positive Maass dieser Schätzung und dieser Auffassung verändert. Wenn z. B. dieses Maas bei Plato hauptsächlich ein ethisches gewesen war, denn nach ihm bestand hauptsächlich die Tyrannis in der zügellosen Herrschaft der schlechten und selbstsüchtigen Begierden, d. h. in der vollendeten Entartung des platonischen Idealstaates,315) so war bei Aristoteles dagegen dasselbe zu einem hauptsächlich politischen geworden, d. h. lag nach der aristotelischen Lehre das Wesen der Tyrannis hauptsächlich im Gegensatze der Handlungsweise des Monarchen zu dem Gemein wohl

314) Col. Salut. De Tyrann. c. 1. § 8., 9; etc.

315) Vgl. Janet, Hist. dela science polit. I. 125 ff.; Hildenbrandt, Gesch. u. Syst. des Rechts- u. Staatsph. I. 121 ff.; Rehm, Gesch. 51 ff.; Zeller, Über den Begriff der Tyrannis 1140 f.

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