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Recht, die Macht selbst zu brauchen, um über seine Kompetenzgrenzen hinaus und gegen die Absicht derjenigen, die ihn ernannt haben, eine allgemeine und völlige Obergewalt in dem politischen Leben des Staates auszuüben. Dieser natürlichen Folge der oben dargelegten Grundsätze knüpft sich eng der bartolianische Begriff von tyrannis velata et tacita, der ein reines Korollarium des Begriffes von Tyrannis e x de f. tit. bildet.204) Denn durch zwei Wege hauptsächlich kann eine Regierung zu einer verschleierten Tyrannis werden:205) erstens, wenn der Magistrat, dem eine zeitweilige Gewalt übertragen worden ist, sich die Ausübung dieser Gewalt verlängern lässt, und sie dadurch gegen die Absicht der Bürger, die eine nur vorübergehende Gewalt wünschen, tatsächlich zu einer lebenslänglichen macht:206) und zweitens, wenn der Magistrat, der ein Amt von geringer politischer Bedeutung bekleidet, dieses Amt dazu missbraucht, den Staat tatsächlich unter seiner unbeschränkten Herrschaft zu halten.207) Die verschleierte Tyrannis also ist die Tyrannis desjenigen, welcher der republikanischen Empfindlichkeit der Mehrheit der Bürger nur scheinbar Beachtung schenkt, und gegen den Willen der Mehrheit eine tatsächlich monarchische Regierung einsetzt. Auch deshalb ist schon derjenige als Tyrann zu betrachten, der, ohne eine be

204) Bartol. De Tyrann. 38:,,... de tyranno tacito et velato, ut est ille qui sub quodam velamine non iuste principatur in civitate . . ."

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205) Bartol. De Tyrann. 38:,,. . . Sciendum est. . . quod tyrannus proprie opponitur Regi: sed de regia potestate est quod sit perpetuus: item quod habeat omnem iurisdictionem . . . Et his duobus sunt duo velamina tyrannica inventa .

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206) Bartol. De Tyrann. 38: Primum quod quidam faciunt sibi concedi iurisdictionem et finito tempore refirmari, et sic regimen... magis videtur iudicis quam tyranni . . .": v. n. 39, 40.

207) Bartol. De Tyrann. 41:,,. . . Secundum velamen est quia quidem tyranni faciunt sibi fieri aliquem titulum cui nulla quasi iurisdictio inest, puta se facit creari vexilliferum vel confalonerium, vel facit sibi committi custodiam civitatis, vel facit se fieri Capitaneum stipendiariorum vel gentis armigere, et ex hoc non dicunt se esse tyrannos, cum ad tyrannum debeat spectare omnis iurisdictio... sed ex eo... in tantam venit potentiam quod officium civitatis ordinat pro ut vult: quod officiales ei obediunt ut domino . . ." etc.

stimmte Würde zu bekleiden, sich herrisch gebärdet, den Staat verborgen regiert und die sich dem schmeichelhaften Vertrauen noch frei zu leben hingebenden Mitbürger betrügt.208)

4. Die publizistischen Quellen und die wesentliche Originalität des Tyrannisbegriffes des Bartolus.

39. Der Tyrannisbegriff des Bartolus bestand aus zwei verschiedenen und bestimmten Elementen: aus einem mehr moralischen als juristischen Begriffe,,tyrannis ex parte exercitii" und aus einem streng juristischen Begriffe:,,tyrannis ex defectu tituli".

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Der erste war schliesslich nichts anderes als der durch die mittelalterliche Publizistik übermittelte Tyrannisbegriff. Denn die tyrannische Regierung ex parte exercitii ist bei Bartolus die Regierung,,quae non cedit ad bonum commune sed ad proprium ipsius tyranni“:209) d. h. die Tyrannis der ganzen vorangehenden aristotelischen Überlieferung.210) Der Begriff wird jedoch von Bartolus, mehr als direkt den politischen Werken des Aristoteles, den italienischen publizistischen Schriften der ersten Renaissance entnommen, deren Beziehungen mit der aristotelischen Tyrannislehre schon in den vorigen Seiten erläutert worden sind 21). Und die hauptsächlichste Quelle des diesen Gegenstand betreffenden Teiles des bartolianischen Traktates ist eben in dem d e Regimine Principum von Ägidius Columna zu suchen. Denn nicht nur gibt Bartolus von der tyrannis ex parte exercitii eine Definition, die dem von Ägidius Columna dargebotenen Tyrannisbegriffe fast 208) Bartol. De Tyrann. 45: Tertium velamen est quando quis nullum titulum in civitate sibi concedi patitur, sed regimina civitatis ita ordinat quod omnia procedunt secundum suum velle . . ." etc.

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209) Bartol. De Tyrann. 27:,,... octavo quaero de tyranno ex parte exercitii, licet habeat iustum titulum. . . Dico quod iste tyrannus est ex parte eius quia opera tyrannica facit: hic ex opera eius non cedit ad bonum commune sed proprium ipsius tyranni. Istud enim non est iuste principari . . .

210) Vgl. darüber, oben s. 45 ff.

211) Vgl. oben S. 46 f.

vollständig entspricht212); sondern auch die ,,decem signa ad cognoscendum tyrannum“, d. h. die zehn schlechten und gemeinschädlichen Handlungen, die von Bartolus als charakteristisch und typisch für die tyrannische Regierung vorgebracht werden, sind schliesslich nichts anderes, als die zehn von Ägidius Columna der aristotelischen Politik entnommenen und in seinem Traktate ausführlich geschilderten,,tyrannicae cautelae", d. h. die zehn hauptsächlichsten Mittel, durch welche, der Meinung von Aegidius nach, jeder Tyrann die öffentliche Gewalt zu seinem eigenen Vorteil zu missbrauchen und sich selbst die unbeschränkte Herrschaft zu bewahren versucht.213)

40. Der zweite Begriff war dagegen, dem traditionellen philosophischen und volkstümlichen Tyrannisbegriffe gegenüber, originell und neu: nicht aber so originell und neu, der ganzen vorigen publizistischen Überlieferung gegenüber, wie man vielleicht auf den ersten Blick denken könnte. Denn es ist nicht zu behaupten, dass es diesem Begriffe an jeder auch noch geringen Anknüpfung in der vorigen Literatur gefehlt hätte. Seine Originalität lag zweifellos besonders darin, dass er nicht nur die Art und Weise der Herrschaftsausübung, sondern auch den Ursprung der Herrschaft selbst, d. h. den Weg, der den Herrscher zur Gewalt geführt hatte, in Betracht zog, und auch bloss in der Rechtslosigkeit dieses Ursprunges, von der Art und Weise der Herrschaftsausübung abgesehen, das Wesen der Tyrannis begründete. Obgleich nun, in der mittelalterlichen

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212) Vgl. die oben angeführten Stellen Bartol., De Tyrann. 27 mit Aegid. Columna, Deregim. Princip. cit. III. p. II. c. 2: Si... ille unus dominans non intendit bonum commune sed. . . opprimens alios omnia ordinavit in bonum proprium et privatum non est rex sed tyrannus. . .“: vgl. aber auch Thom. Aquin, Summa Theolog. cit. P. II. 2. q. 42. art. 2; De Regim. Princip. I. c. 4-7.

213) Vgl. Bartol. De Tyrann. v. 28:,,Decem signa ad cognoscendum tyrannum: Primum est tyranni potentes et excellentes homines perimere ne contra ipsum possint insurgere . . . Secundo sapientes discriminant ne cognoscentes eorum mala ... populum contra ipsos provocent . . ." etc., mit Aegid. Column. De Regim. Princip. III. p. II. c. 10:,, Quae et quot sunt cautelae quibus tyrannus nititur se in suo dominio conservare . . .

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Publizistik, der Tyrannisbegriff immer einen rein moralischen Inhalt gehabt und bewahrt hatte, und obgleich, der theokratischen Anschauung des Staates und der königlichen Gewalt wegen, die Frage über die Rechtmässigkeit des Ursprunges dieser Gewalt fast jede Bedeutung verloren hatte, ist daraus ja nicht zu schliessen, dass eine solche Frage wenigstens in indirekter Weise niemals vorher in Betracht gezogen worden wäre, und dass man niemals an die Existenz von Regierungen gedacht hätte, deren Ursprung an und für sich, von der Art und Weise der Herrschaftsausübung abgesehen, unrechtmässig oder unbillig wäre.

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41. Die ersten Andeutungen auf eine solche Frage, und daher die Quellen der dem Tyrannisbegriffe des Bartolus zu Grunde liegenden Unterscheidung sind aber ausserhalb der tradionellen Tyrannislehre zu finden: nämlich in Schriften, die durchaus nicht in diese Lehre gehören. Es ist wahr, dass, wie schon erwähnt, diese Unterscheidung schon bei der aristotelischen Tyrannislehre im Keime vorhanden ist.214) Denn, obgleich die von Aristoteles dargebotene Definition der Tyrannis mehr dem platonischen moralisch-politischen, als dem vorigen griechischen verfassungsrechtlichen Begriffe zu entsprechen scheint 215) - die Tyrannis ist eine Monarchie, bei welcher der Monarch nicht zum Gemeinwohl der Untertanen, sondern zu seinem eigenen Vorteil regiert216) —, geht zweifellos aus seiner Lehre die Annahme hervor, einerseits des tyrannischen Wesens von tatsächlich in gerechter Weise und zum Gemeinwohl des Volkes ausgeübten, zum Trotz des Volkes aber und gegen den Willen des Volkes entstandenen Regierungen,217) und andererseits der legitimen und rechtmässigen Existenz von verfassungsmässig entstandenen, scheinbar aber, der despotischen Weise ihrer

214) Vgl. Rehm, Gesch. der Staatswissensch. 194; Treumann, Monarchomach., 46.

215) Vgl. oben s. 35 und die ebenda angeführte Bibliographie: über den Tyrannisbegriff des Aristoteles vgl. auch die Bemerkungen von Schmidt, Die Lehre vom Tyrannenmord. Ein Kapitel aus der Rechtsphilosophie. Tübingen u. Leipzig 1901. s. 12 ff.

216) Vgl. Aristoteles, Politica. III. c. 5. § 2-5.
217) Vgl. Aristoteles, Polit. VIII. c. 9 § 10 ff.

Ausübung wegen, tyrannischen Regierungen.218) Die Unterscheidung ist jedoch hier nur bloss entworfen. Denn, was den ersten Fall betrifft, besteht die Rechtslosigkeit, d. h. das tyrannische Wesen jener Regierungen, dem Gedanken des Aristoteles nach, mehr als in der Ungesetzlichkeit und Unrechtmässigkeit der Ergreifung der Gewalt, immer und hauptsächlich in der Entgegenstellung des sich vom Fürsten bei der Ausübung der Gewalt vorgesteckten Zieles zum Gemeinwohl der Untertanen, da in einem solchen Falle die scheinbare Billigkeit und Rechtlichkeit der Ausübung selbst kein bestimmtes Ziel des Fürsten, sondern ein reines Mittel ist, um eine wirklich unheilvolle und bei den Untertanen verhasste Gewalt zu kräftigen und zu befestigen;219) und, was den zweiten Fall betrifft, bringt die Annahme der Existenz von scheinbar, ihres unbeschränkten Despotismus wegen, tyrannischen, und in derselben Zeit, der Legitimität ihres Ursprunges wegen, rechtmässig erstandenen Regierungen nicht dazu, noch die Existenz von nur als unrechtmässig entstandenen, obgleich in gerechter Weise ausgeübten, tyrannischen Regierungen. Schliesslich also ist die Legitimität bei Aristoteles die notwendige Voraussetzung jeder monarchischen Regierung: sie ist aber kein Differentialkriterium zwischen monarchischer und tyrannischer Regierung. Dieses Kriterium besteht immer in der Übereinstimmung der Ausübungsweise und des Zieles der Gewalt mit dem Gemeinwohl des Volkes : und dieser Übereinstimmung gegenüber trennen sich Ergreifung und Ausübung der Gewalt nicht in zwei unabhängige und sich aufeinander beziehende Begriffe, sondern sie bilden einen einzigen unscheidbaren Begriff.220) Zwischen der Lehre des Aristoteles und der Lehre des Bartolus gibt es also wesentlich einen zu grossen Unterschied, um die erste als eine direkte oder indirekte Quelle der zweiten betrachten zu können. Und doch könnte man sich vielleicht die Lehre des Bartolus als eine weitere Entwick

218) Vgl. Aristoteles, Polit. III. c. 9 § 3-5.
219) Vgl. Aristoteles, Polit. VIII. c. 9. § 10.

230) Vgl. Sulle fonti e sul contenuto della distinz. fra tirannia ex def. tit. e tirannia exerc. cit. s. 4 ff.

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