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5. Die Beziehungen des Tyrannisbegriffes des Bartolus zu der Lehre der Volkssouveränetät und zu der romanistischen Überlieferung.

46. Man darf jedoch nicht denken, dass der Begriff der Tyrannis ex def. tit. plötzlich aus der Phantasie des Bartolus, insofern derselbe der vorigen Literatur gegenüber wirklich neu war, entsprungen wäre. In der Tat besteht dieser ganz juristische Begriff aus der Verschmelzung von verschiedenen Elementen, deren positive und ideelle Ursprünge sehr leicht erkennbar sind. Denn sehen wir den Begriff tiefer ar, so werden wir bemerken, dass er auf eine weitere Unterscheidung begründet ist, und eine stillschweigende Übereinstimmnng zwischen zwei scheinbar entgegengestellten und unvereinbaren Überlieferungen voraussetzt: die Unterscheidung zwischen den communitates, welche,,ius eligendi Rectorem habent"; und den communitates, denen ein solches Recht nicht anerkannt wird; und die Übereinstimmung zwischen der kaiserlichen und der demokratischen-autonomistischen Überlieferung. Der Grundsatz des universellen römischen Kaisertums wird also durch die Anerkennung der selbstregierenden autonomen communita te s eingeschränkt,238) und der Begriff erhält einen doppelten Inhalt.

In den civitates,,quae ius eligendi Rectorem non habent", d. h. denen keine Autonomie anerkannt wird,239) beruht der iustus titulus dominandi auf dem Willen der oberen Autorität; nämlich entweder dem des Kaisertums selbst oder irgendeiner von der Oberhoheit des Kaisertums nur de iure abhängigen und de facto ganz selbständigen Regierung: in den anderen civitates,,quae ius eligendi rectorem habent“, d. h. denen entweder eine absolute Selbständigkeit oder eine mehr oder weniger ausgedehnte Autonomie zusteht, beruht

238) Vgl. darüber oben s. 78 ff.

289) Für die Unterscheidung zwischen dem Begriffe von Selbständigkeit und dem Begriffe von Autonomie, vgl. oben. s. 79.

derselbe titulus, entweder in absolutem Sinne oder innerhalb der Schranken der anerkannten Autonomie, auf dem Willen des Volkes.240)

47. Was den ersten Begriff betrifft, so liegt es auf der Hand, dass dieser Begriff direkt mit der romanistischen kaiserlichen Überlieferung in Beziehung steht, die die bolognesische Schule, deren hauptsächlichster Fortsetzer und Vertreter Bartolus war, entwickelt und verbreitet hatte.241) Die Idee, dass ein Fürst oder ein Herrscher, der in einem noch dem Kaisertum untertanen Lande gegen den Willen des Kaisertums oder der kaiserlichen Vertreter regiert, ein Tyrann sei, ist beinahe allen vorangehenden oder gleichzeitigen Postglossatoren ganz geläufig und lässt sich auch in Quellen bemerken, die kein juristisches Merkmal haben.242) Ein solcher Tyrann ist ein Aufrührer gegen das Kaisertum und fällt natürlich unter die Lex Julia Maiestatis.243) Natürlich, war es gar nicht schwer, dieselbe Idee zur Anwendung auf jede vom Kaisertum de

240) Vgl. darüber oben s. 79 f.

241) Für die Beziehungen zwischen der bolognesischen Schule und der Entwicklung des Kaiserbegriffes während der Renaissance, vgl. Ercole, Imp. e Papa to. s. 22 ff.

242) So z. B., werden bei Mussatus, Jerrettus und Nicolaus de Botronto, alle Signori als Tyrannen betrachtet, die Kaiser Heinrich VII. bei seinem Eintritt in Italien, die italienischen Städte ohne kaiserliche Zustimmung regierend, gefunden hatte (vgl. Mussat. Hist. August. I. c. 6; Vinc. Jerretti, Hist. rerum gestar. etc. L. IV. col. 1054; Nicol. de Botronto, Relatio de itin. ital. col. 904 etc.: und alle dieselben Signori hören auf, Tyrannen zu sein, sobald Heinrich sie,,imperiales vicarios" ernannt hat: vgl. Vinc. Jerret. His t. cit. col. 1064,,,. . . factique sunt Passarinus et Butronus Praefecti vice regia... Nec minus Veronae duces... Albuinus et lasius, patriae suae moderamen quam genitor amborum Albertus ipsique post illum .. private tenuerunt . . . iam non Tyranni sed Ministri Regis accipiunt . . .“ und die merkwürdige Behauptung eines Zeugen des Processo degli Avogari: Proc. Avog. cit. Albert. de Gaulello f. 185 r. ,,... Dom. Ricardus non rexit tyrannico more nec tyrannice tempore quo fuit vicarius civitatis Tarvisii pro domino Imperatore . . .“ etc.

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243) Bartol. De Tyrann. n. q: „ iuste tyrannus est quum non iure principatur et tenetur lege iulia maiestatis . . .“ etc.

facto ganz unabhängige und selbständige Regierung zu bringen.244)

48. Der zweite Begriff dagegen scheint nicht deshalb in starkem Gegensatz zu der romanistischen Überlieferung zu stehen, weil derselbe den Ursprung der Gewalt in den autonomen communitates in dem Willen des Volkes begründet (denn auch für die romanistische Schule stammt das Kaisertum von einem Willensakte des römischen Volkes her245), sondern deshalb, weil derselbe diesen Ursprung in den vom gegenwärtigen Willen des Kaisertums oder der an Stelle des Kaisertums eingetretenen Regierung ganz unabhängigen, aktuellen, direkten, tatsächlichen Willen des Volkes jeder autonomen communitas verlegt. Schliesslich aber ist dieser Begriff nichts anderes als die ausdrückliche und feierliche Anerkennung einer bestimmten tatsächlichen Lage, oder besser gesagt, ihre feierliche Umwandlung in eine Rechtslage, d. h. die wissenschaftliche und juristische Sanktionierung der freien Autonomie und der schon bei jeder Autonomie siegreichen direkten Volkssouveränetät. Und der Begriff selbst wird in einigen anderen für die Geschichte des italienischen Staatsrechtes der Renaissance wichtigen Worten des Bartolus noch erläutert: Cum quaelibet civitas... dominum non recognoscat, in se habet liberum populum et habet merum imperium in ipsa et tantam potestatem habet in ipsa, quantam Imperator in

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244) Vgl. z. B. Bald, a d L. 16 Cod. De sacr. eccl. 1. 1,,. . . in primis, provinciae quae consueverunt regi per Principes et Reges debent esse sub eo domino naturali, et si alius accipit ibi dominium contra voluntatem Regis vel Principis, est tyrannus.

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245) Vgl. Glo. ad L. 8. Dig. De leg. et sen. 1. 1; ad L. 1. Dig. 1. 4; ad L. 1. Dig. 1. 11; ad L. 9. Dig. 1. 3; a d L. 2. Cod. 8. 53; ad L. 11. Cod. 1. 17. etc.: so der Glosse folgend, Jacop. de Arena, ad Instit., de act. 5; Cynus, ad L. 4. Cod. 5. 4; Bartol., a d L. 8. Dig. 1. 2; Bald. ad L. 1. Cod. 1. 1. etc., und bei den Publizisten, Dante, De Monarch. III. c. 13-14; Lupold. von Bebenburg, De jur. regn. etc. c. 5; Ockam, Octo quaestion. q. c. 4. 5; Dialog. III. 2. 1. c. 27. 28 etc.: vgl. darüber Gierke, Deutsche Genossensch. III. 575 und Johann.

Althus. s. 79; Ercole I m p. e Pap. 114 f.

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universo ."246) Es ist jedenfalls zweifellos nicht schwer. die ideellen Ursprünge dieser Lehre festzustellen.247)

49. Man kann jedoch behaupten, dass der Begriff des Bartolus gleichzeitig als eine partielle Anwendung und eine bedeutende Vervollständigung der Lehre des Marsilius zu betrachten ist.248) Obgleich jede Unterscheidung zwischen einer Tyrannis exercitio und einer Tyrannis ex def. tit. Marsilius unbekannt war, hatte er jedoch nicht nur auf die Art und Weise der Herrschaftsausübung, sondern auch auf den Ursprung der monarchischen Gewalt Gewicht gelegt:249) für ihn stand sogar die Art und Weise der Herrschaftsausübung in einem untrennbaren und notwendigen Abhängigkeitsverhältnisse zum Ursprung der Gewalt; denn, Marsilius nach, muss der Herrscher immer, in dem Augenblicke der Ergreifung der Gewalt sowie in jedem Augenblicke seiner Regierung, dem Willen der Untertanen entsprechen; und daher liegt bei ihm der Unterschied zwischen rex und tyrannus nicht darin, dass der Tyrann schlecht und gemeinschädlich regiert, sondern vielmehr darin, dass der Tyrann gegen den Willen des Volkes regiert.250) Ausserdem hat die Theorie des Marsilius eine ganz

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246) Bartol. ad L. 6. Dig. 48. 1: so ad L. 4 Dig. 50. 9. n. 7: . populus sine superiore habet ipse in se imperium . . ." vgl. Impero e Papato, s. 139

anm. 1.

247) Für die Geschichte und die Grundlagen der Lehre der Volkssouveränetät, vgl. besonders Bezold, Die Lehre von der Volkssouve ränetätim Mittelalter, in Histor. Zeitschr. Bd. XVIII. 1876. s. 313 ff.; und die Anmerkungen von Gierke, Deutsche Geno s s. III. 568ff. und Johann. Althusius cit. 123 ff.: auch Rehm, Gesch. 192 ff.

248) Ueber die Lehre des Marsilius vgl. Riezler, Dieliterarischen Widersacher der Päpste zur Zeit Ludwigs des Bayern. Leipz. 1874. s. 193 ff.; Labanca, Marsilio da Padova. Padova. 1882. s. 125 ff.; Gierke, Deutsche Genossensch. III. 581 ff.; Janet, Hist. de la science polit. I. s 457 ff.; Rehm, Gesch. s. 196 ff. etc.

249) Vgl. Marsil. Patav. Defensor Pacis, in Goldast, Mon. Rom. I m p. II. f. 154 ff.; Dictio I. p. 1. c. 9: „,. . . De modis instituendi regalem monarchiam et perfectionis assignatione .

...

etc."

250) Marsil. Patav. Defensor Pacis D. I. p. 1. c. 9: ... omnis principatus, vel est voluntariis subditis vel involuntariis. Primum est genus

allgemeine Tragweite; und kann auf jeder Regierungsform Anwendung finden; denn die Zustimmung des Volkes kann sich entweder ausdrücklich durch freie und feierliche Wahl oder stillschweigend durch Einwilligung zu einer erblichen, despotischen, monarchischen Regierung offenbaren.251) Bartolus dagegen scheint in seinem Traktate an eine stillschweigende Kundmachung des Volkswillen gar nicht zu denken und wendet die Lehre der Volkssouveränetät nur auf jene civitates an, die,,ius eligendi Rectorem habent . . ."; d. h. nur an die selbständigen oder autonomen civitates, wo eine äussere ausdrückliche Kundmachung des Volkswillens durch feierliche Wahl möglich und zulässig sei: nämlich nur an die unter freier Verfassungsform lebenden civitates.

Aber wenn er, nach der einen Seite hin, die Tragweite der Lehre des Marsilius einschränkt, so vervollständigt er nach der anderen Seite hin dieselbe Lehre; denn er steigt eine Stufe, die Marsilius nicht erstiegen. Wann wird in einer mit Selbstregierung oder mit Autonomie ausgestatteten civitas, eine monarchische Herrschaft,,involuntariis civibus" erworben? Auf diese Frage ist bei Marsilius keine bestimmte, genaue Antwort zu finden: die Antwort aber geht aus den Erörterungen des Bartolus hervor; die Gewalt sagt er wird,,involuntariis civibus" erworben, nicht nur, wenn in einer solchen Stadt der Herrscher zur Macht gelangt ist, ohne dass eine feierliche Wahl eingetreten sei, sondern hauptsächlich auch wenn die vorgefallene Wahl kein echter Ausdruck des Willen der Bürger

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bene temperatorum principatuum, secundum vero vitiatorum. Distinguitur autem utrumque horum generum, in tres species sive modos. . . . (vgl. c. 8) . . . Participat autem quilibet dictorum modorum tanto amplius de vero regali, quanto magis est ad subiditos voluntarios et secundum legem latam ad commune conferens subditorum: tanto vero amplius tyrannidem sapiens, quanto magis exit ab his, consensu videlicet subditorum et lege ad ipsorum commune conferens instituta..."; c. 8:,,. . . Tyrannus est. . . principatus vitiatus, in quo dominans est unicus ad proprium conferens praeter voluntatem subditorum. . ." etc. 251) Marsil. Patav. Defens. Pa cis. D. I. p. 1. c. 9:,,. . . Sunt modi sive institutiones regalis monarchiae quinque .": das ganze Kapitel ist zu lesen.

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