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Geleitwort.

Von

Josef Kohler.

Die Staatslehre des Mittelalters kennt ausser dem Kaiserbegriff keine wichtigere Gestaltung als den Begriff des tyrannus. Namentlich in den italienischen Gemeinwesen, wo sich so und so oft ein übermächtiger Günstling zum Herrscher aufwarf und eine Signoria begründete, musste der Gedanke der Rechtmässigkeit und Unrechtmässigkeit auftauchen. Wie, wenn man den Träger des Prinzipats mit Gewalt verdrängte und wieder republikanische Einrichtungen schuf? War man im Recht oder Unrecht? Hier gab es starre Republikaner, welche den Alleinherrscher ohne weiteres ins Unrecht setzten, hier gab es aber auch Männer der Vermittelung, welche die Tyrannis dulden wollten, so lange sie erträglich war; und diese letztere Richtung wurde durch die theokratische Anschauung der Kirche unterstützt: jede Herrschaft sei eigentlich von Gott eingesetzt und trage damit die göttliche Sanktion in sich.

In diese Verwirrung fiel die Aristotelische Lehre von der Tyrannis, welche zwar auch die Erlangung der Macht in Betracht zog, vor allem aber die Art und Weise betonte, wie der Prinzeps seine Macht gebrauchte: missbrauchte er seine Macht in egoistischer Weise zum Nachteil des Staates, dann sei er ein Tyrann und als Tyrann von der Regierung zu entfernen;

und auch die kirchlichen Schriftsteller mussten hier von ihrem theokratischen Standpunkt zurückweichen; wie, wenn der Tyrann die Kirche bedrückte, den Glauben verleugnete?

Es ist klar, dass hier überall die Politik eine grössere Rolle spielte als die Jurisprudenz, bis der grosse Bartolus mit dem Satze hervortrat: der Tyrann ist nicht nur ein unangemessener Herrscher, sondern ein Nichtherrscher, dessen Akte regelmässig nichtig sind und sogar der lex Julia majestatis und der lex Julia de vi unterliegen. Wann aber ist der Herrscher ein Tyrann? Soll hier nur die Führung der Macht oder auch die Erwerbung in Betracht kommen? Diese Frage hatte man bisher vielfach vermischt. Der gewaltsame Erwerb der Tyrannis wurde mehr vom Standpunkte der Antizipation einer schlecht geführten Herrschaft gewürdigt: man nahm an, dass hier der Erwerb bereits als ein Moment der späteren Missherrschaft zu betrachten sei. Nach dem Vorgang von Thomas hat zuerst Bartolus die Frage klar gefasst. Der widerrechtliche Erwerb macht schon an und für sich zum Tyrannen ex defectu tituli. Wann aber fehlt dieser Titel? Hier trat die Idee des Kaisertums in den Vordergrund, die ja auch Bartolus noch bedeutungsvoll vertritt. Der Fürst bedarf der kaiserlichen Bestätigung, wo immer der Staat nicht vom Kaisertum eximiert ist. In Exemptionsfällen bedarf er der Zustimmung des Volkes in Gestalt einer freiwilligen, nicht durch Gewalt zusammengetriebenen und terrorisierten Mehrheit. Hier keimt bereits der Gedanke der Volkssouveränität und der Gedanke der Majorität als der Vertreterin des Volkes hervor, und die Majoritätsentscheidung gilt wie bei Rousseau als die Ausserung nicht etwa der Mehrheit, sondern des Volksgeistes selbst. Aber auch wenn der Herrscher in richtiger Weise zur Macht gelangt ist, so kann er zum Tyrannen werden, wenn er nicht ordnungsmässig regiert, wenn er die Untertanen unterdrückt, den Staat ausbeutet: dann wird er zum tyrannus exercitio. Hier kam man aber auf eine schiefe Ebene. Wer soll diesen Missbrauch beurteilen? welches Gericht soll entscheiden? Soll der Fürst seine Autorität verlieren mit dem Augenblick, wo

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er sich als Tyrann erweist, oder erst wenn diese Tyrannis in der einen oder anderen Weise festgestellt ist?

Diese Frage wurde in dem Traktat von Bartolus nur teilweise gelöst. Dass die Kirche manchesmal das Schiedsrichteramt übernahm, ist bekannt, allein diese Lebensfrage des Volkswohlstandes einfach der Kirche zu überantworten, war dem Geist der italienischen Städte zuwider. Das Kaisertum aber konnte bei der regelmässigen Entfernung wenig Hilfe gewähren, und die kräftige Klärung der Verhältnisse, die unter Heinrich VII. ihren Anfang genommen hat, fand durch den plötzlichen Tod dieses Kaisers ein jähes Ende.

Hier setzte nun das Traktat des Coluccio ein, der nach den verschiedenen Richtungen hin die Anschauungen des Bartolus weiter führte und die praktischen Leitsätze aufwies, durch welche die Theoreme des grossen Juristen ins Leben geführt werden konnten. Vor allem operierte Coluccio mit der stillschweigenden Willenserklärung. Der Kaiser kann stillschweigend den Fürsten bestätigen, das Volk kann stillschweigend den Fürsten ernennen, indem es ihn duldet und sich seiner Herrschaft unterwirft; und so kommt man schliesslich zu der modernen Anschauung: jede Erwerbung der Herrschaft ist legalisiert, sobald der Herrscher zur wirklichen Regierung gelangt ist und die Staatsaufgabe wirksam in die Hand genommen hat; und damit deckt sich auch die Nietzschesche Lehre: das Staatsoberhaupt, das grosses schafft, trägt seine Legitimation in sich, und die moralischen und juristischen Gründe der Erwerbung der Herrschaft können nicht weiter in Betracht kommen. Was aber die Frage des Gewaltmissbrauchs betrifft, so hat sich Coluccio mit Recht dagegen gewendet, dass jeder Einzelne sich als Richter aufwerfen dürfe und die Berechtigung zum Tyrannenmord, die seit den Tagen des Johannes von Salisbury eine grosse Rolle spielte, wird bei ihm sehr zurückgedrängt. Das Nähere ist aus seinem Traktat selber zu ersehen.

Als leuchtendes Beispiel eines Fürsten, der, durch die stillschweigende Volkszustimmung als Fürst legalisiert, die

Herrschaft in vernünftiger und billiger Weise führte, muss Cäsar erscheinen, den eine theokratische Geschichtsanschauung zu gleicher Zeit als den gotternannten Begründer des Kaisertums ansah, mit dem das Kaisertum anhob, dieses gewaltige Staatengerüste, welches nach der Anschauung jener Zeit das ganze Weltall trug. Die Mörder Cäsars durften sich deshalb nicht als Vaterlandsretter rechtfertigen, und die Lehre vom Tyrannenmord brach hier zusammen. Dante setzte sie in die tiefste Hölle neben Judas Ischariot, und Coluccio, zu dessen Zeit die Frage lebhaft erörtert wurde, stimmte ihm bei, nicht bloss aus theokratischen Gründen, sondern deswegen, weil Cäsar nicht als Tyrann anzusehen sei.

Wir allerdings, welche bei der Lehre von der Verantwortlichkeit weniger auf den Erfolg als auf die Absicht sehen, möchten den Mördern Cäsars gern die ewige Ruhe gönnen; denn sie haben nicht aus egoistischen Gründen, sondern mit politischer Leidenschaft, im falschverstandenen Staatsinteresse, aber doch aus ehrenhafter Absicht gehandelt. Diesem modernen Empfinden ist Shakespeare gerecht geworden. Freilich gilt auch hier der politische Satz, dass in der Politik die Torheit schlimmer ist als die Schlechtigkeit.

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