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Sachsenspiegel und Sachsenrecht').

Von

F. Philippi.

Im Sachsenspiegel Eikes' von Repgow besitzen wir ein Rechtsbuch, welches die gesamten Rechtsverhältnisse der gemeinhin als ,Sachsen 2) benannten Stämme Niederdeutschlands darzulegen unternimmt; es ist auch die Grundlage der Behandlung der entsprechenden Verhältnisse Oberdeutschlands im Schwabenspiegel geworden. Was war da erklärlicher, als dass auf seiner Grundlage in erster Linie sich die Darstellung der deutschen Rechts- und Gerichtsverhältnisse seit der ersten zusammenhängenden und systematischen Bearbeitung derselben durch Eichhorn 3) aufgebaut hat und dass auch heutzutage noch jeder, der sich über das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter unterrichten will, zunächst zum Sachsenspiegel und der klassischen Darstellung des darin geschilderten Gerichtsverfahrens durch Planck 4) seine erste Zuflucht nimmt.

1) Zugleich Besprechung von Heck, der Sachsenspiegel und die Stände der Freien. Halle a. S., Max Niemayer, 1905.

2) prologus:, dat ik recht unde unrecht der Sassen besceide; praefatio rythmica 178: spigel der Saxen sal diz buch sin genannt, wente Saxen-recht ist hir an bekant."

3) Staats- und Rechtsgeschichte; bes. § 279, wo vom Sachsenspiegel gesagt wird:,Nach der Natur eines Rechtsbuches konnte seine Absicht weder auf sächsisches, noch überhaupt ein bestimmtes partikulares Recht, sondern nur auf deutsches Recht und gute Gewohnheit überhaupt gerichtet sein."

*),Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter (1878): obwohl Planck sowohl auf dem Titel als im Vorwort ausdrücklich darauf hinweist, dass der Sachsenspiegel und verwandte Rechtsquellen die Grundlage bilden. Die älteren

Mitteilungen XXIX.

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In allen diesen Darlegungen tritt die allerdings auch im Rechtsbuche stark betonte Auffassung, dass Gerichtsverfahren und Gerichtsverfassung im mittelalterlichen Deutschland durchaus auf Amtsrecht begründet und nach ihm geregelt gewesen sei1), besonders scharf in die Erscheinung. Diese Auffassung gründet sich hauptsächlich auf die Stellen des dritten Buches 2), in welchen ausgeführt wird, dass alles Recht vom Könige stamme, und die Rechtsprechung entweder durch ihn selbst oder die von ihm beliehenen Beamteu in seinem Namen erfolge 3).

Und diese Grundanschauung ist auffallender Weise trotz der vielfach einschneidenden Kritik, welche an Eikes Aufstellungen in letzter Zeit geübt worden ist, kaum Gegenstand der Nachprüfung gewesen. Wohl hat man erkannt und mehrfach betont, dass die Aussagen des Spieglers, weil bei denselben zunächst die Kenntnis der Verhältnisse seiner Heimat in ziemlich beschränktem Umfange 4) zu Grunde gelegt ist, nicht für alle Teile Sachsen's durchaus zutreffend erscheinen. Wohl hat man sich daran gemacht, die Angaben des Spiegels über die Standesverhältnisse der Sachsen genau zu untersuchen 5) und ist dabei im Allgemeinen zu der Überzeugung gekommen, dass er streng juristisch die Verhältnisse seiner Zeit, die eine Übergangszeit im wahrsten Sinne des Wortes war, öfters zur Grundlage historischer Deduktionen und Darstellungen des deutschen Gerichtsverfahrens von Unger (altdeutsche Gerichtsverfassung 1842) und G. v. Maurer (altgermanisches Gerichtsverfahren 1824) stehen auf erheblich breiterer Grundlage,

1) Planck 4 ff. — Vergl. dazu z. B. Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte 557 ff. und 569 ff; ferner Heusler, Deutsche Verfassungs-Geschichte S. 110, 171.

2) III, 26, 1: Die koning is gemene richtere over al. III, 52, 1 Den koning küset man to richtere over egen und len unde over jewelkes mannes lif. Die keiser ne mach aver in allen landen nicht sin unde al ungerichte nicht richten to aller tiet, darum liet he den vorsten grafscap, den greven scultheitdum. Vgl. ferner I, 59 und III, 64, 4 ff.

8) Schröder a. a. O. 569 ff.

4) Zuletzt Heck in seinem unten (Anm. 5) näher zu charakterisierenden letzten Werke S. 12 sowie Schröder a. a. O. S. 677 und vor Allem, Gerichtsverfahren des Sachsenspiegels in der Savignyzeitschrift Germ. Abt. IV, S. 56.

5) Am eingehendsten und umfassendsten zuletzt Heck, Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien Halle a. S. 1905; mit den Ausführungen dieses Werkes berühren sich die folgenden Auseinandersetzungen fortwährend. Es ist zu ver wundern, dass auch Heck sich nicht von der oben skizzierten Anschauung vom Amtscharakter des im Sachsenspiegel dargestellten Rechtes hat freimachen können und andererseits den für das Verständnis der von ihm besprochenen Verhältnisse so massgebenden Einfluss des Stammesrechtes kaum gelegentlich berührt. Leider erschwert sich Heck die richtige Verwertung seiner im Einzelnen vielfach

Systematisierungen 1) macht, die irre führen mussten, weil ihm die geschichtliche Entwicklung und damit die vor seiner Zeit liegenden Phasen derselben unbekannt waren. Aber die zur Grundlage seiner ganzen Darstellung gestempelte Anschauung, alles Recht sei königliches Amtsrecht, ist bis jetzt kaum ernsthaft in Diskussion gezogen

worden.

Und doch bietet er selbst dazu die Handhabe, wenn er im auffallenden Gegensatze zu den oben augezogenen, meist dem dritten Buche entstammenden Stellen, im 55. Artikel des ersten Buches sagt: Al wertlich gericht hevet begin van kore. Man hat ja nun auch früher diese Stelle keineswegs übersehen und ist sich des hervortretenden Widerspruches auch in gewissem Masse bewusst geworden, aber man hat diese doch ganz allgemein geprägte Angabe gewöhnlich, entgegen ihrem klaren Wortlaute, nur auf das im Folgenden besprochene Gogericht bezogen und ihre Bedeutung dadurch abzuschwächen versucht, dass man hier bei dem Gografen als dem Unterrichter des Grafen" eine Ausnahme annahm, welche die Regel nicht umstossen könne2), zumal der Gograf vom Grafen die Belehnung und damit erst die Befugnis zur Ausübung seines Richteramtes empfangen habe. Man beseitigte also die Unstimmigkeit, indem man, wie unten zu zeigen ist, ohne genügende Unterlage annahm, dass der Gograf, obwohl vom Volke gewählt, dennoch als Unterrichter des Grafen von ihm mit der Gerichtsbarkeit belehnt und so der Beamtenhierarchie eingefügt sei3).

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Die nicht wegzuleugnende und neuerdings von Heck1) scharf betonte Tatsache, dass die Gografen auch höhere Strafgerichtsbarkeit besessen haben, vermochte die einmal in den Lehrbüchern heimisch

zutreffenden Beobachtungen dadurch, dass er an seinem alten Irrtume, die Pfleghaften seien Stadtbürger unentwegt festhält. Der Spiegel berührt Stadtrecht überhaupt nicht. Richtig ist an Heck's Ausführungen, dass die landrechtliche Stellung eines Teiles der Stadtbürger die der Pfleghaften ist, weil sie freier Geburt sind und zinspflichtiges Eigen besitzen. Im Einzelnen ist am Schlusse der Exkurs über die Urkunde von 1214 zu vergleichen.

1) Schröder a. a. O. 677, 678 und Gerichtsverfassung des Sachsenspiegels. Savignyzeitschrift a. a. O. S. 56.

2) So z. B. durchweg C. B. Stüve in seiner ausgezeichneten, aber in diesem Punkte nicht klaren Abhandlung: , Untersuchungen über die Gogerichte in Westfalen und Niedersachsen. Jena 1870; ein ebenso wie die übrigen verfassungsgeschichtlichen Arbeiten dieses verdienten Forschers von den Modernen viel zu wenig berücksichtigtes Buch.

3) Schröder a. a. O.5 S. 614 und die dort angegebene Literatur; ferner in esonders scharfer Prägung Heusler in seiner Verfassungsgeschichte S. 171. 4) a. a. O. bes. S. 144 ff.

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