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gewordene Anschauung nicht zu erschüttern; sie wurde vielmehr mit der Erklärung bei Seite geschoben, dass darin eine spätere Phase der Entwicklung sich zeige; nachdem die Landesherren im 13. u. 14. Jahrhundert die Gogerichtsbarkeit an sich gezogen hätten, sei sie von ihnen erst zur hohen Gerichtsbarkeit ausgebaut worden 1).

Meines Erachtens sind die im Sachsenspiegel unzweifelhaft sich findenden Widersprüche über den Ursprung der Gerichtsgewalt nicht zu vertuschen 2), sondern zu erklären und zwar umso mehr, als die eine Theorie im ersten, die andere dagegen im dritten Buche vorgetragen wird, welches vielfach Ergänzungen und Erklärungen zu den beiden ersten Büchern bietet.

Zunächst ist festzustellen, dass die bei der Besprechung des Sachsenspiegels in der neueren Zeit so schroff hervortretende Betonung der amtsrechtlichen Theorie wohl hauptsächlich daraus zu erklären ist, dass sie unserem modernen Empfinden entspricht; im Rechtsbuche steht ihr die Wahlrechtstheorie nicht nur durchaus gleichwertig gegenüber, sondern gerade ihr kommt deswegen eine besondere Bedeutung zu, weil sie im ersten Buche vorgetragen wird. Sie hat auch zu Eikes Zeit dem Volksbewusstsein durchaus nicht in dem Masse fern gelegen, wie heutzutage,

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Wenn nun tatsächlich im Rechtsbuche, welches das Recht der Sachsen zur Darstellung bringen will, diese beiden Theorien gleichwertig neben einander vorgetragen werden, ist die Frage wohl berechtigt sind wirklich beide aus den Beobachtungen an sächsischen Einrichtungen mit Recht ableitbar und weiter, wenn das zutreffen sollte, in welcher von beiden Einrichtungen haben wir das spezifisch Sächsische zu sehen?

Die beiden Theorien sind scharf so zu umreissen, dass nach der zuerst erwähnten, heutzutage am meisten betonten, aber erst im dritten Buche vorgetragenen alles Recht Amtsrecht ist und vom Könige stammt, während nach der zweiten alles Recht Volksrecht ist und durch Wahl übertragen wird.

Zur Beantwortung der Frage, ob wirklich zur Zeit des Spieglers in Sachsen ein so zwiespältiges Recht gegolten habe, ob wirklich Amtsrecht und Volksrecht neben einander ausgeübt und gesprochen worden sei, bedarf es vor allem einer genaueren Untersuchung der Stellung des Gografen und seines Gerichtes, da für dieses in erster Linie die Kore" als Grundlage angeführt wird.

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1) Schröder a. a. 0.5 S. 614 und die dort angegebene Literatur; ferner in besonders scharfer Prägung Heusler in seirer Verfassungsgeschichte S. 171. 2) Wie Planck a. a. O. S. 4 in geistreicher Weise versucht.

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dieser Materie stehen unter der Herrschaft der Theorie, dass der Gograf ein unter dem Grafen stehender Unterrichter sei1); es erscheint daher gewiesen, zunächst nachzuprüfen, ob diese Theorie aus den Quellen zu erhärten ist, und daran anknüpfend eine Charakteristik der Gografschaft überhaupt zu geben. Logisch richtiger wäre es allerdings umgekehrt vorzugehen; ich muss jedoch befürchten, dabei durch die seit Jahrzehnten eingebürgerte, geradezu zum Dogma gewordene Anschauung zu sehr in der Darlegung behindert zu werden.

Vorweg ist zu bemerken, dass der Spiegler zwei Gografen kennt, einen ständigen, wie Heck ihn nicht unberechtigt nennt, und einen Notrichter. Da letzterer als Notrichter eine Ausnahmestelle einuimmt, sind die über ihn allein handelnden Angaben für die Darlegung der Stellung des Gografen zunächst auszuscheiden und kommen nur subsidiär in Betracht.

Die in Frage stehenden Artikel enthalten, wie längst bekannt, wenn man sie als Einheit behandelt, unlösbare Widersprüche. Sobald man aber den ursprünglichen Text für sich nimmt und die Zusätze als das auffasst, was sie tatsächlich sind, als Darlegungen einer späteren Entwicklungsstufe, so werden die Einzelangaben vollkommen verständlich und es muss wunderbar erscheinen, dass dieses Verfahren nicht schon längst eingeschlagen ist.

Die beiden Stellen über den ständigen Gografen lauten: 56, 1. An goscap n' is mit rechte nen leen noch nen volge, wend' it is der lantlüde vri wilkore, dat se gogreven kisen to jewelker gaen dat oder to bescedener tiet und 57, 1: Ne wirt en dief oder en rovere binnen dage oder binnen nacht nicht verwunnen, so net hevet de gogreve nen gerichte daran; so sol richten die belende richter. Die erste Stelle ist nicht anders zu verstehen, als dass die Bestellung des Gografen durch Volkswahl geschieht, und durch diese Wahl auch die Übertragung der Amtsgewalt mitgeschieht; die zweite Stelle, deren Bedeutung für die strafrechtliche Zuständigkeit des Gografen unten

1) Stüve s. oben S. 227 Anm. 1 und Heck a. a. O. bes. S. 103 ff. Wie wenig er sich von der herrschendem Theorie freizumachen versteht, beweisen Stellen wie die Bemerkung auf S. 149:,in jeder Grafschaft gab es einen Grafen, aber mehrere ständige Gografen, ein ganz unbeweisbarer Satz, welcher jedoch die Annahme einer gewissen Kongruenz der Gerichtssprengel beider Beamtenkategorien und damit eines Instanzenverhältnisses zur Grundlage hat. Ferner S. 71 die Stelle: Das Grafending bei Königsbann und unter ihm das Goding des Gografen. Auch Schröder in der S. 226 Anm. 4 zitierten Abhandlung über die Gerichtsverfassung des Sachsenspiegels geht durchaus von dieser Annahme aus.

noch zu besprechen sein wird, stellt ihn in ausdrücklichen Gegensatz zum belehnten Richter, Man mag nun unter dem Ausdrucke belehnter Richter" verstehen, was man will, auf jeden Fall beweist die Gegenüberstellung, dass der Gograf nicht zu den belehnten Richtern gerechnet wird, eine Tatsache, welcher es durchaus entspricht, dass er in der berühmten Leihestelle des dritten Buches, 52, 2, 3 nicht unter den Gerichtspersonen aufgeführt ist, weichen der König mittelbar oder unmittelbar Gericht leiht.

Dass der zur jähen Tat gewählte Gograf, der „Notrichter", welcher gleich, nachdem er seines Amtes gewaltet hat, wieder ins Privatleben zurücktritt, der Beamten hierarchie des Sachsenspiegels nicht eingeordnet gedacht sein kann, bedarf eigentlich umso weniger der Hervorhebung, als er ja durchaus keine Zeit hatte, die Bann- oder Gerichtsleihe nachzusuchen. Daher setzt auch sowohl die oben angezogene Stelle des 56. Artikels wie der insbesondere mit ihm sich befassende 55. Artikel ihn in unmittelbaren Gegensatz gegen den belehnten Richter 1);

So steht also nach den in diesen Paragraphen vorgetragenen Ansichten der Gograf vollkommen ausserhalb der königlichen Beamtenschaft und ist daher auch vom Grafen durchaus unabhängig oder richtiger ausgedrückt: er steht gleichberechtigt neben ihm, weil die Wurzel der richterlichen Befugnisse beider eine ganz verschiedene ist: der Graf wird mittelbar oder unmittelbar vom Könige bestellt und richtet nach königlichem Amtsrecht, der Gograf wird vom Volke gewählt. und richtet, nach Volksrecht,

Zu diesem ganz unanfechtbaren Ergebnisse der Interpretation der älteren Fassung des Spiegels treten freilich die jüngeren Zusätze in einen auf den ersten Blick auffallenden Gegensatz.

Zunächst sagt der Zusatz zum 56. Artikel von der Gogerichtsbarkeit (goscap): liet se en herre aver, her sal dar lenrechtes sinen manne unde sinen kinderen af plegen: it ne breken in beiden de lanlüde mit irme rechten (Var. vrien) kore. Diese Darlegung hat man in Verbindung mit den gleich zu besprechenden weiteren Stellen gern so ausgelegt, als sei trotz des klaren Sinnes der zuerst besprochenen ursprünglichen Fassung Lehu an Gogericht die Regel gewesen, Die Stelle beweist aber, unbefangen betrachtet, das Gegenteil und lässt deutlich einen Übergangszustand erkennen. Das Recht der Laudleute

1) Bejegenet aver en hanthaftich dat von düve oder von rove, dar en man mede begrepen wirt, dar mut man wol umme kesen enen gogreven minnest von dren dorpen, die gaen dat to richtene, af man des belenden richteres nicht heben ne mach.

auf die Wahl wird ausdrücklich anerkannt, und nur der mögliche Fall besprochen, dass trotzdem ein „Herr" 1) Goschaft verleihen wollte, und gesagt, dass er dann seine Verpflichtungen als Lehnsherr seinem Lehnsmann und dessen Kindern gegenüber halten müsse. Dieses ganze Verhältnis erscheint dabei aber noch so unsicher, dass die Möglichkeit seiner Zerstörung durch die Landleute auf Grund ihres alten Rechtes als berechtigt anerkannt wird.

Weiter fortgeschritten sehen wir die hier vorsichtig einsetzende Entwicklung der Einbeziehung der Gogerichtsbarkeit in das Amtsrecht im 58. Artikel: Sven man aver küset to langer tiet, den sal die greve oder die markgreve belenen; vor deme gift men achte; die mut ock wol overnachtich ungerichte richten. Svenne die greve kumt to des gogreven dinge, so sal des gogreven gerichte neder sin geleget: also is des greven, svenne de koning in sine grafseap kumt, dar se beide to antwerde sin. Also is jewelkes richteres, dar die konig to antwerde is, de klage ne ga denne uppe den koning. Denn in ihm wird die Volkswahl zwar noch als zu Recht bestehend angenommen, zugleich aber die Belehnung durch Graf oder Markgraf (Landgraf) verlangt, (sal), und damit als die Regel gekennzeichnet.

Falls man freilich, wie gewöhnlich geschieht, diese letzteren Bestimmungen so auffasst, als sollten sie dasselbe Institut in demselbeu. Stadium der Entwicklung, wie die vorher angezogenen Paragraphen darstellen, so sind sie durch keine Kunst der Interpretation mit diesen zu vereinigen; erkennt man aber an, dass in ihuen verschiedene Phasen einer allmäligen Umbildung zum Ausdrucke kommen, so sind sie nicht nur vollkommen verständlich, sondern bieten auch eine willkommene Illustration zu der Entwicklung der Gerichtsbarkeit, wie sie uns auf Grund anderer Quellen Stüve so trefflich geschildert hat. Er behandelt (S. 66)2) eingehend das Wahlrecht der Landleute", bespricht dann ebenso eingehend S. 74 ff. die Verwandlung des Wahlrechts in Eigentum und Lehn auf Grund eines reichen, von ihm zusammengebrachten Quellenmaterials. Aus diesen Darlegungen Stüves ergibt sich unzweifelhaft, dass in allen den Gegenden, über deren Gogerichtswesen Material zur Verfügung steht, die gleiche Entwicklung zu beobachten ist. Zunächst erscheint, der älteren Darstellung des Spiegels entsprechend, das Gografenamt als ein von der Volksgemeinde frei

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1) Es ist besonders zu betonen, dass hier nicht der Graf, sondern ein Herr genannt wird.

2) Untersuchungen über die Gogerichte in Westfalen und Niedersachsen Jena 1870, ein ebenso wie die übrigen verfassungsgeschichtlichen Arbeiten des Verfassers von der modernen Forschung viel zu wenig berücksichtigtes Buch.

vergebenes Amt, wobei allerdings die aktive und passive Wahlfähigkeit starken Abstufungen im Einzelnen unterliegt. Ein zweites Stadium, welches freilich in der Darstellung des Sachsenspiegels nicht hervortritt, ist das Erblichwerden des Amtes in bestimmten Familien 1). Das Schlusstadium ist dann überall dasselbe und entspricht durchaus der Darstellung des Sachsenspiegels in seinen Zusätzen: der Laudesherr erwirbt die Gogerichtsbarkeit durch Gewalt, Kauf oder sonstige Übertragung und verleiht sie seit der Zeit als Lehn oder Beamtung, wobei teilweise das alte Wahlrecht in einer Art von Präsentation noch fortlebt, und das Familienrecht, falls es bestanden hatte, anerkannt wird,

Zur Zeit Eikes war also, um das Ergebnis der vorhergehenden Untersuchung kurz zusammenzufassen, in seiner Heimat bei der Bestellung der Gografen die Wahl durch die Volksgemeinde noch durchaus die Regel; in den Gegenden jedoch, in welchen die Zusätze entstanden sind, hatten zu der Zeit, als sie eingefügt wurden, die Landesherrn schon begonnen, die Gogerichte an sich zu ziehen und mit ihren Lehnsleuten zu besetzen; trotzdem war aber auch damals und in jenen Gegenden die Erinnerung an das alte Wahlrecht des Landvolkes noch nicht erloschen, diese Erinnerung war vielmehr noch so stark, dass die eine Stelle diesem Rechte sogar noch die Kraft zuspricht, eventuelle Ansprüche und Handlungen der Handlungen der „Herren“ zu brechen, die andere aber die Wahl wenigstens noch unmittelbar als die Grundlage der Befugnis anerkennt.

Somit ist also die Frage, ob zur Zeit Eikes wirklich in Sachsen zwei Arten von Gerichten unabhängig von einander bestanden haben, und von ihm in seinem Sachsenspiegel zur Darstellung gebracht seien, durchaus zu bejahen und die dieser Auffassung scheinbar entgegen stehenden Stellen dadurch zu erklären, dass sie auch sonst nachweisbare Stadien einer Weiterbildung, richtiger Verbildung der ursprünglichen Zustände zu Gunsten der Entwicklung der fürstlichen Landeshoheit im Auge haben.

Neben dem Grafengerichte als Königsgericht steht das Gogericht als Volksgericht. Seinem Ursprunge nach kann also das Gogericht rechtlich nicht von Anfang an ein Untergericht des Grafengerichts gewesen sein; es beibt jedoch zu untersuchen, ob es nicht dennoch

1) Es ist wahrscheinlich insoferne kein selbständiges Stadium der Entwicklung, als auch schon früher das passive Wahlrecht einigen oder wenigen Familien, aus welchen der Gograf genommen werden musste, eignete, sodass eine gewisse Erblichkeit auch schon im ersten Stadium des, Wahlrechtes der Landleute bestanden hätte.

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