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Lassen diese Erwägungen die Gogerichte als die bedeutenderen erscheinen, so ergibt eine Vergleichung der sachlichen Zuständigkeit zwar kein so überzeugendes und an sich klares Ergebnis; aber es ist doch oben gezeigt worden, dass die laudläufigen Anschauungen über die geringe Zuständigkeit der Gogerichte in Strafsachen einer starken Korrektur bedürfen, wenn auch aus dem Rechtsbuche allein sich ein vollständiges Bild von der Abgrenzung der beiderseitigen Befugnisse in Strafsachen und bürgerlichen Streitigkeiten nicht gewinnen lässt. Man wird vielmehr Heck zustimmen müssen, wenn er von einer Konkurrenz des Grafen und Gografen in Strafsachen spricht, und diese Behauptung mit der klassischen Urkundenstelle S. 158 zu belegen vermag: Item homines liberum habeant arbitrium querulandi coram comite vel coram gogravio.

Die Gogerichte stehen also nicht nur unabhängig neben den Grafengerichten, sondern sie spielen auch im Leben des Volkes mindestens dieselbe, wenn nicht eine bedeutendere Rolle, als jene, welche freilich ein gewisser Schimmer der Vornehmheit umschwebte.

Auch diese Beobachtung drängt also dazu, in diesen Gerichten die alten sächsischen Volksgerichte, dem unmittelbaren Wortsinue entsprechend, die Landgerichte zu sehen, eine Annahme, welche sich jedoch auch mit ziemlicher Sicherheit beweisen lässt.

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Im allgemeinen wird nun mit dieser Ansicht nichts vollkommen Neues vorgebracht, denn sie ist ja auch schon früher öfter geäussert worden, immer aber mit der Beifügung, dass es sich bei diesen Gerichten um Reste altsächsischer Einrichtungen handle, welche Karl der Grosse nur unvollkommen seiner Neueinrichtung des Gerichtswesens in Sachsen habe einfügen können. Es handelt sich jedoch nicht um vereinzelte Reste der alten Einrichtungen, die in ihrer Gesamtheit durchlöchert und zerstört sind, sondern es handelt sich um das fast unberührte Fortleben der vollständigen alten Einrichtungen.

Um zunächst mit dem Gegenteile zu beginnen, so ist ebenfalls früher schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Organisation des Grafengerichtes durchaus fränkisch ist. 1) Die alten Sachsen hatten keine monarchische Organisation: ihre Richter konnten daher weder

Beleg für neun Gerichtstermine im Jahre vorliegt, hat schon Schröder nachgewiesen; vgl. darüber Heck a. a. O. S. 107 u. 131.

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1) Vgl. hierüber zuletzt 0. Oppermann in Westdeutsche Zeitschrift 25, S. 308 ff. Was er über die kolonisatorische Grundlage der ganzen Grafengerichtsbarkeit ausführt, wird im Grunde durchaus richtig sein. Es wird jedoch noch zahlreicher Einzeluntersuchungen bedürfen, um hier sicheren Boden unter die Füsse zu bekommen und die einzelnen Vorgänge klar zu erkennen.

nach königlichem Amtsrecht eingesetzt werden, noch nach königlichem Amtsrecht unter Königsbann richten, wie die Grafen und ihre Unterrichter, Die altsächsischen Gerichte kannten das Institut der Schöffen nicht; bei ihrer freiheitlichen Verfassung stand jedem Volksgenossen das Recht zu, in der Gerichtsversammlung Urteil zu weisen; also auch das Verfahren des Grafengerichts war nicht sächsisch. Über die besondere strafrichterliche Befugnis der Grafen und deren sachliche Grundlage enthält der Spiegel zu wenig, um über die Entstehung sicher urteilen zu können; der Vorbehalt des Eigens für das Grafengericht dagegen beruht ohne Zweifel wiederum auf fränkischer Grundlage. Denn der Begriff des Eigentums am Lande, d. b. des unumschränkten Verfügungsrechtes über Grundstücke hat sich, wohl unter dem Einflusse des römischen Rechtes, bei den Franken viel früher entwickelt, als bei den Sachsen 1); ja er scheint bei den letzteren, wie das vielfache Fortleben des Retraktrechtes beweist, solange ihre Rechtsentwicklung noch selbständig war, niemals zur vollen Ausbildung gekommen zu sein.

Ist nun aber das Grafengericht fränkisch, so bleibt gar nichts anderes übrig, als das Gogericht für das eigentlich sächsische Gericht zu erklären. Es ist jedoch nicht nur das eigentlich sächsische Gericht, sondern es ist auch in der Form, in welcher es uns im Sachsenspiegel entgegentritt, das alte sächsiche Volksgericht. Es bedarf das um so mehr der Hervorhebung und des Beweises, als man immer wieder darauf zurückgekommen ist, es doch vom Amtsrechte beeinflusst und einer späteren Entwicklungsstufe angehörig zu erklären, insoweit ihm zu seiner ursprünglich geringen Zuständigkeit später die höhere zugewachsen sei. 2)

Die Quellen freilich über die nationalsächsische Gerichtsverfassung zur Zeit der Eroberung Karls und nachher bis zum 13. Jahrhundert fliessen sehr spärlich, aber ihre Angaben genügen trotzdem vollkommen, um entgegen der geltenden Meinung zu beweisen, dass die volksrechtlichen, ihrem Freiheitssinne entsprechenden Gerichtsorgani

1) Kowalewsky, Die ökonomische Entwicklung Europas übers. von L. Motzkin I, S. 77 ff. u. 273 ff.

2) Diese Anschauung ist so sehr eingewurzelt, dass selbst Heck a. a. O. S. 162 das Zugeständnis machen zu müssen glaubt: Durch die vorstehenden Ausführungen wird nicht ausgeschlossen, dass es doch eine Zeit gegeben hat, in welcher dem Gografen, wenn auch nicht dem Godinge, die Zuständigkeit für Ungerichte gefehlt hat, so dass der Graf in Blutsachen das Goding selbst abhielt. In früherer Zeit hat der Graf eben mit dem Goding nichts zu tun gehabt. Sein Erscheinen im Goding ist ganz undenkbar.

sationen der alten Sachsen von Karl infolge der Eroberung nicht beseitigt worden sind. Er hat sie vielmehr fast unberührt bestehen lassen, und sie haben sich auch in ihrer alten Übung bis zur Zeit Eikes erhalten.

Zum Beweise dieser Behauptung sind zunächst die Akte karolingischer Gesetzgebung, welche die Ordnung der sächsischen Verhältnisse zum Gegenstande haben, heranzuziehen; sie enthalten allerdings keine besonderen Bestimmungen über das Gerichtsverfahren und die Gerichtsverfassung, aber es finden sich doch einige Paragraphen, aus welchen man bündige Rückschlüsse auf diese Verhältnisse machen

kann.

In den capitula de partibus Saxoniae werden im zweiten Paragraphen ein placitum und im 18. conventus und placita, im 34. wieder conventus publici1) im 24, 28, 29, 30, 31, 34) comites erwähnt. Es ist allgemein angenommen und wohl auch richtig, dass, dem Gebrauch der Zeit entsprechend, placitum auch in diesem capitulare das vom Grafen auf Grund seiner Amtsgewalt abgehaltene Ding bedeutet; conventus dagegen sind offenbar die auf freiwilliger Unterordnung beruhenden Zusammenkünfte. Dabei wird ein einfacher conventus, welcher dem placitum gegenübersteht in § 18, allgemeine conventus dagegen in § 34 erwähnt; über die auf den conventus verhandelten Angelegenheiten verlautet nichts, während das placitum klar als Gericht charakterisiert ist. Dass der Graf aller Wahrscheinlichkeit nach das placitum abhält, ist schon erwähnt; diese Tatsache folgt ausserdem mit Klarheit aus § 34. Dagegen verlautet von einem Einflusse der Grafen auf die conventus nichts und die Berechtigung zur Abhaltung der grossen Versammlungen wird von der Zustimmung der missi abhängig gemacht und ausdrücklich bestimmt, dass nur diese Beamten sie und auch diese Beamten sie nur auf ausdrücklichen Befehl des Königs berufen dürfen. Es liegt somit nahe, in den einfachen conventus, welche den placita der Grafen gegenübergestellt werden, Godinge zu sehen, die also vollkommen unabhängig von den fränkischen

1) § 2 sed pacem habeat usque dum ad placitum presentetur § 18 ut in dominicis diebus conventus et placita publica non faciant, nisi forte pro magna necessitate aut hostilitate urgente 34 Interdiximus, ut omnes Saxones generaliter conventus publicos nec faciant, nisi forte missus noster de verbo nostro eos congregare fecerit; sed unus quisque comes in suo ministerio placita et justicias faciat.

2) Die Angaben über Grafen und Grafschaft betreffen ausser dem oben angeführten § 34 innere Angelegenheiten; daher sind sie nicht mit zum Abdrucke gebracht.

Beamten blieben, während die grossen conventus (generaliter publici), etwa dem isländischen Allthing vergleichbar, als selbständige Versamnmlungen verboten (interdiximus) wurden und nur ausnahmsweise im Auftrage des Königs von seinen ausserordentlichen Vertrauten (missi) berufen werden durften, während auch auf sie den Grafen ein Einfluss nicht zustand. Welche Teile des Volkes jedoch auf den beiden Arten von conventus erschienen, wie die Verhandlungen auf ihnen geführt wurden, lässt sich nicht erkennen. Es ist aber bemerkenswert, dass die Leitung der grossen Versammlungen nicht ausdrücklich den missi zugeschrieben wird, wenn man es auch aus der Tatsache schliessen könnte, dass diese Beamten die Versammlungen bericfen.

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In der lex Saxonum fiude ich keine Notizen, welche Rückschlüsse auf Gerichtsverfassung und Gerichtsverfahren zulassen. Dagegen bietet das sogenannte Capitulare saxonicum von 797 mehrere Paragraphen (4, 5, 8), welche ganz oder teilweise das Gerichtsverfahren behandeln und auch Rückschlüsse auf die Gerichtsverfassung erlauben. 1) Wir finden darin einerseits nur placita, andererseits niemals einen comes erwähnt. Schon dieses Verhältnis lässt negativ schliessen, dass in diesem Schriftstücke placitum nicht das Grafeugericht, das echte Ding des Grafen bezeichnen kann. Es ergibt sich diese Tatsache aber auch positiv aus den Bestimmungen, dass die Sühuegelder (Compositionen) nicht dem Grafen oder dem Könige, sondern den vicini zu zahlen sind.

1) § 4 Hoc etiam statuerunt, ut qualiscumque causa infra patriam cum propriis vicinantibus pacificata fuerit, ibi solito more ipsi pagenses solidos duodecim pro districtione recipiant; et pro wargida. quae iuxta consuetudinem ecrum solebant facere hoc concessum habeant. Si autem in praesentia missorum regalium causae definitae fuerint, pro iam dicta wargida suprascriptos solidos duodecim ipsi pagen-es habeant concessos; et pro hoc, quia missus regalis ex hac re fatigatus fuerit, alios duodecim solidos inde accipiat ad partem regis. Si autem ipsa causa ad palatium in praesentia regis ad definiendum fuerit producta, tunc utrique solidi duodecim id est : pro wargida et quod vicinis debuit componere, eo quod infra patriam diffinita ratio non fuerit, ad partem regis faciant componere. Nam si fuerit aliquis qui in patria juxta quod sui convicini judicaverint seque pacificare noluerit — 5) Si quis de nobilioribus ad placitum mannitus venire contempserit, solidos quatuor componat, ingenui duos, liti unum. — 8) De incendio convenit, quod nullus infra patriam praesumat facere propter iram aut inimicitiam aut qualibet malivola cupiditate, excepto si talis fuerit rebellis, qui iustitiam facere noluerit et aliter districtus esse non poterit et ad nos, ut in praesentia nostra iustitiam reddat, venire dispexerit, condicto commune placito simul ipsi pagenses veniant et si unanimiter consenserint, pro districtione illius causa incendatur; tunc de ipso placito commune consilio facto secundum eorum e wa fiat peractum et non pro qualibet iracundia aut malivola intentione, nisi pro districtione

nostra.

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Wir haben es also zweifellos mit Volksgerichten zu tun, als deren Teilnehmer nur pagenses (Landleute) und vicini (Nachbaren) genannt werden. Dass diese Gerichte in schweren Strafsachen zuständig waren, ergibt sich durch Rückschluss aus allen Paragraphen, mit positiver Sicherheit aber aus dem achten. Dass das placitum für alle Teile des Volkes, wenigstens in bürgerlichen Streitsachen zuständig war, erweist der fünfte Paragraph, welcher die Strafe für Verachtung der Ladung bei Edlen, Freien und Liten abgestuft festsetzt.

Der einzige Zusammenhang der hier besprochenen Gerichtsversammlung mit dem Könige und seiner Beamtenschaft beruht darin, dass von ihrem Entscheid an den König, das palatium, Berufung eingelegt werden kann, sowie darin, dass ausnahmsweise königliche Sendboten dem Gerichte anwohnen können. Dass diese Gegenwart der missi aber durchaus Ausnahme war, beweist einerseits die allgemeine Fassung des betreffenden Paragraphen (4), andererseits der Ausdruck: quia missus ex hac re fatigatus fuerit, zur Evidenz.

Es ergibt also die Untersuchung der karolingischen Gesetzgebung für Sachsen, dass am Ende des 8. Jahrhunderts in Sachsen Volksgerichte bestanden haben, welche von den Grafen ganz unabhängig waren und blieben; sie wurden von den Landleuten abgehalten, in ihnen walteten keine Schöffen. 1) Diese Volksgerichte übten die hohe Strafgewalt nach altem Sachsenrecht (secundum eorum ewa) 2) und waren, wenigstens in bürgerlichen Streitsachen, zuständig für alle Teile des Volkes.

Man ist ferner wohl berechtigt, aus der Tatsache, dass einer Tätigkeit der Grafen in diesen Gerichten nicht Erwähnung geschieht, den Schluss zu ziehen, dass die gräfliche Gerichtsgewalt sich im allgemeinen über die Sachsen nicht erstreckte. Sie richteten über die in Sachsen angesiedelten Franken und über die Bestandteile des Sachsenvolkes, welche Frankenrecht annahmen. 3) Jedenfalls aber führten sie ihr Amt durchaus nach dem im Fraukenreiche geltenden allgemeinen Grundsätzen. Es lag daher weder nach der einen, noch nach der anderen

1) Sie hätten bei der Zahlung der Bussgelder u. s. w. Erwähnung finden müssen, wenn sie existiert hätten.

2) Vgl. auch § 10 des capitulare, utrum interficiendum illis (sc. Saxonibus) redebatur.

3) Dass dies die höheren Klassen des Volkes, besonders die nobiles, die Edelinge, getan haben, ist allgemein und wohl auch berechtigte Annahme. Vgl. z. B. Stutz in Savigny-Zeitschrift Germ. Abt. 21, S. 136 mit Rückgreifen auf Mayers Darstellung.

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