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Richtung ein Grund vor, sie in den Gesetzen, welche die Verhältnisse der Sachsen im Besonderen regelten, zu erwähnen,

Die gewöhnliche Annahme aber, dass Karl die Gerichtsverhältnisse Sachsens nach fränkischem Muster geordnet und die alten Verhältnisse vernichtet und nur spärliche Reste seinen fränkischen Organisationen eingegliedert habe, kann aus den Quellen nicht erwiesen werden.

Es handelt sich hier jedoch nicht bloss um Bestimmungen, über deren Ausführung man zweifeln kann, sondern wir besitzen dafür, dass diese den Gesetzen entnommenen Schlüsse auch den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen, ein der Mitte des 9. Jahrhunderts angehöriges Quellenzeugnis, welches unwiderleglich beweist, dass die Sachsen zu jener Zeit in ihren Zusammenkünften (conventus) hohe Strafgerichtsbarkeit geübt und ohne Zuziehung irgend welcher königlicher Beamten Todesurteile vollstreckt haben. Es ist die Erzählung, welche sich im 27. Kapitel der vita secunda sancti Liudgeri1) findet: Oppidum est in Saxonia notum quam plurimis Meppea nominatum, in cuius vicinia, dum antistes sanctus Frisiam pergens deveniret, aspexit non longe a via vulgi concilium die dominica congregatum. Itaque divertit illuc, volens cognoscere, quae causa huiusmodi conventiculi existeret tali die, viditque in colle, quem circumvallaverant, reo cuidam suspendium preparari, accedensque propius affatus eos blande, postulans, sibi concedi hominem aut, si necesse esset eum interfici, hoc eo die non facerent, magis ad ecclesiam missas audire convenirent. Cumque nichil horum a rusticis impetrare posset, contumeliosis insuper verbis clerico insultantibus etenim ad suam parroechiam locus ille non pertinebat vix obtinere potuit, ut parumper cum homine super eius penitentia se permitterent loqui. Factum est hoc, discessit antistes et homo in patibulum est suspensus.

Da der Heilige keinen Anstoss daran nimmt, dass die Laudleute (rustici) ohne Zuziehung eines Beamten (comes oder missus) ein Todesurteil vollstrecken, muss diese Art des Verfahrens dem Rechte entsprochen haben; denn dass kein derartiger Beamter anwesend war, ist mit Sicherheit aus der Nichterwähnung zu schliessen, weil sonst Liudger sich an diesen Beamten als den Leiter der Versammlung hätte wenden müssen. Der Heilige nimmt ferner nur Anstoss daran, dass der Verurteilte an einem Sonntage gehenkt werden soll; das will er

1) Geschichtsquellen des Bistums Münster, Band IV, Die vitae sancti Liudgeri, herausgegeben von Wilhelm Diekamp S. 72. Als Abfassungszeit der zweiten vita stellt der Herausgeber S. XXXIX etwa die Jahre 850-860 fest; der Verfasser beruft sich bei der Wiedergabe der Geschichte auf Augenzeugen. Die Begebenheit selbst gehört in die ersten Jahre des 9. Jahrhunderts,

verhindern. Er hätte diesen Zweck am sichersten dadurch erreichen können, wenn er das ganze Verfahren als ungesetzlich angegriffen hätte. An ein solches Vorgehen wird aber überhaupt nicht gedacht. Er hat also das Verfahren an sich offenbar nicht beanstanden können. Das Beispiel erweist daher unwidersprechlich, dass nicht nur die karolingischen Gesetze die alten Volksgerichte in Sachsen unberührt gelassen haben, sondern dass dieselben auch in den ersten Jahrzehnten nach der Eroberung unbeanstandet mit voller Zuständigkeit in Übung geblieben sind.

Aus dieser Feststellung ergibt sich der unabweisbare Schluss, dass man, wenn mau im Sachsenspiegel das Gogericht als Volksgericht mit hoher strafrechtlicher Zuständigkeit behandelt findet, darin das alte sächsische Landgericht (wörtlich Goding) wiederzuerkennen hat, welches sich durch die Jahrhunderte in Verfassung und Verfahren im Wesentlichen von fränkischen Neuerungen unberührt erhalten hatte.

Der Sachsenspiegel stellt also wirkliches Sachsenrecht nur in den Artikeln dar, in welchen er vom Gogerichte handelt, und in den allgemeinen Artikeln, welche auch auf den Gografen als Richter bezogen werden können. Die Tätigkeit der königlichen Beamten aber, besonders das Grafengericht ist nur insoweit sächsisch, als es auf sächsischem Boden ausgeübt wurde, und unter den Freien auch Sachsen waren; seinem Ursprunge nach aber ist es fränkisch und auch ein grosser Teil der ihm Unterworfenen wird fränkischer Herkunft gewesen sein.

Die ursprüngliche Fassung des Spiegels stellt dieses altsächsische Gericht als noch in voller Selbständigkeit neben dem Gerichte des Grafen stehend dar: Es hatte sich also noch bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts behauptet. Die Zusätze dagegen zeigen die Gogerichte schon unter dem Einflusse der Landesherren, welche auch dieses Gericht an sich zu bringen versuchen, eine Entwicklung, welche uns aus den verschiedensten Gegenden Niedersachsens und für das 14. und 15. Jahrhundert genügend bekannt ist.

Die gewöhnliche Annahme also, das Gogericht habe von Karls Zeiten her in Abhängigkeit von der Grafschaft als ein Niedergericht derselben gestanden und sei erst nach und nach mit höherer Zuständigkeit von den Landesherren ausgestattet worden, erweist sich den Quellen gegenüber als unhaltbar. Das Gogericht ist vielmehr schon in vorkarolingischer Zeit das Landgericht der Sachsen mit voller Kompetenz in Strafsachen gewesen; diese hohe Zuständigkeit ist ihm durch die karolingische Gesetzgebung kaum beschnitten worden. Ebensowenig ist ihm seine freiheitliche Verfassung genommen oder fränki

sches Verfahren mit Geschworenen (Schöffen) aufgenötigt worden. Seine Einordnung in den staatlichen Organismus ist überhaupt nicht durch einen Akt der Gesetzgebung erreicht worden, sondern erst im Laufe der späteren Jahrhunderte durch eine grosse Zahl von Transaktionen der einzelnen staatlichen Gewalten, welche wir als Träger der Landeshoheit anzusehen gewohnt sind. Daher auch die grossen Unterschiede in der Entwicklung.

Hecks Verdienst ist es, in seinem Buche energisch darauf hingewiesen zu haben, dass man bis jetzt unter dem Banne der Anschauung, im Sachsenspiegel sei ein einheitliches Rechtssystem dargestellt, die Bedeutung des Gogerichts sowohl in Betreff der Grösse seiner sachlichen Zuständigkeit, wie in Betreff des Umfanges seiner persönlichen Zuständigkeit durchaus verkannt hat; leider ist Heck aber nicht bis dahin durchgedrungen, auch den Ursprung dieses Gerichtes zu erkennen und darzustellen, da auch er sich von dem Banne der herrschenden Vorstellung über den alten und ursprünglichen Zusammenhang zwischen Grafengericht und Gogericht nicht hat frei machen können, so dass ihm der fundamentale Gegensatz von Amtsrecht und Volksrecht, welcher Grafengericht und Gogericht ursprünglich trennt, nur dunkel zum Bewusstsein gelangt ist.

Es ist schon oben darauf hingewiesen, dass bei der reichen Fülle der Probleme, welche Heck in seinem umfänglichen Werke einer mehr oder weniger zutreffenden Besprechung unterzieht, es unmöglich erscheint, auf alle einzugehen, ohne ein gerade so umfängliches oder noch ein umfänglicheres Werk zu liefern. Auf den roten Faden jedoch seiner Darlegung, die Annahme, die Pfleghaften des Sachsenspiegels seien die Städtebürger, ist schon oben kurz hingewiesen worden. Eine Hauptstütze für diese seine Behauptung findet Heck in der bekannten Walkenrieder Urkunde von 1214 1), der einzigen, in welcher der deutsche Ausdruck pleghaft bis jetzt nachgewiesen worden ist. M. E. ist eine vollkommen einwandfreie Erklärung dieses Stückes bis jetzt noch nicht gegeben worden: sie soll im Folgenden versucht werden.

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Der Graf von Klettenburg verzichtet auf Ansprüche super quibusdam possessionibus, quas ecclesia detinebat, in quibus quiddam juris mihi vendicabam, quod nequaquam ecclesia mihi recognovit, immo omnibus modis, quibus potuit reclamavit, videlicet super duobus mansis in Rodagherode, quos mihi usurpabam forensi jure quorundam homi

1) Urkundenbuch des Hist. Vereins für Niedersachsen, Heft 2, Nr. 83; vgl. dazu Heck a. a. O. S. 472 ff.

num, qui in vulgari dicuntur plaeccafhte". Der Abt weist diese Ansprüche zurück, weil ecclesiam emisse supradictos duos mansos in Rodagherode ab Heccardo de Livenrode, qui insigni gaudebat libertatis titulo et qui in foro juris unus erat scabinorum, qui eos liberos ab omni obsequio alicui praestando ecclesie vendidit; in qua libertate hactenus eos possedit."

Die Urkunde zerfällt in zwei Teile, deren Sinn im einzelnen folgender ist. Der Graf hatte ein Recht auf zwei im Besitze des Klosters Walkenried befindliche Hufen für sich in Anspruch genommen und zwar auf Grund des jus forense bestimmter Leute, welche auf deutsch pfleghafte genannt werden. Das jus forense ist also einerseits das Recht, welches der Graf au den Hufen zu haben glaubt, und andererseits ist es das besondere Recht, welches die Pfleghaften als solche charakterisiert. Es muss daher das jus forense sowohl das Recht des Grafen, wie das der Pfleghaften auf die fraglichen Grundstücke sein; somit kann darunter nur das Leiherecht verstanden werden, kraft welches der Graf behauptete, die Grundstücke, welche er als sein Eigen in Anspruch nahm (quos mihi usurpabam), an den Vorbesitzer ausgeliehen zu haben, den Vorbesitzer, von welchem das Kloster Walkenried sie erworben hatte. Dieses jus forense genannte Leiherecht ist nun bekannt genug. Es entspricht dem Wortsinne nach dem Marktrecht, dem Rechtssinne nach dem Burgrecht und Weichbildrecht.1)

Im zweiten Teile wird gesagt, das Kloster habe die Ansprüche des Grafen mit dem Nachweise zurückgewiesen, dass der Vorbesitzer der Hufen, von welchem das Kloster sie kaufte, 2) schöffenbar frei gewesen sei und die Güter bis auf die Gegenwart frei von der Verpflichtung zur Leistung an irgend jemand besessen habe.

Fasst man beide Teile zusammen, so ergibt sich folgendes ganz klare Bild des in der Urkunde besprochenen Vorgangs. 3) Das Kloster Walkenried hatte von dem Schöffenbarfreien Ecchard von Liebenrode zwei Hufen in Rodagherode als unbeschwertes Eigen gekauft. Nach

1) Vgl. darüber u. a. Rietschel, Markt und Stadt S. 173 ff. und besonders S. 175, wo die Verwendung von jus forense zur Bezeichnung der freien Erbzinsleihe nachgewiesen ist.

2) Er ist also nicht nur, wie Heck sagt, der Gewährsmann im Gegensatze zu den früheren Besitzern, sondern er ist der Vorbesitzer und als solcher der Gewäbrsmann.

3) Der Kaufvertrag selbst scheint sich nicht erhalten zu haben, wenigstens finde ich unter den Walkenrieder Urkunden nur unter Nr. 62 die undatierte Notiz: W. Jecheburgensis prepositus bona, quae habebat ecclesia Jecheburgensis in Rotageroth fideli suo Eckehardo praefecto de Livenroth tradit, also eine Vorurkunde.

träglich machte der Graf Ansprüche auf die Hufen, indem er behauptete, Ecchard von Liebenrode sei ein Pfleghafter, der von ihm die Hufen nach der jus forense" genannten Erbleihe unterhabe. Das Kloster weist zur Zurückweisung dieser Ansprüche nach, dass Ecchard wirklich Schöffenbarfrei ist, 1) weil er an seiner Dingstatt (in foro juris) 2) als Schöffe geamtet hat (unus erat scabinorum).

So ergibt also die Urkunde keinerlei Anhaltspunkte für die Behauptung, die Pfleghaften seien Stadtbürger, enthält aber eine um so glänzendere Bestätigung der schon von der Spiegelglosse gegebenen Erklärung von den Pfleghaften, als den Freien, welche mit Zins belastetes Eigen besitzen, im Gegensatze zu den Schöffenbaren, deren Eigen unbeschwert ist.

1) Dass er dies war, beweist seine Stellung in der Zeugenreihe der als Nr. 20 aufgeführten Urkunde v. 1178, in welcher er als letzter der Hochfreien vor zwei Geistlichen und den Dienstmannen aufgeführt ist. Dass er kein Stadtbürger war, sondern in Liebenrode zwischen Klettenburg und Walkenried wohnte, geht ausser aus dieser Urkunde auch aus der Nr. 62 (s. vorige Anmerkung) hervor, in welcher er Schultheiss von Liebenroda genannt wird.

2) Dass das forum juris die zuständige Gerichtsstelle, das forum competens bedeutet und mit Markt nichts zu tun hat, ergibt sich aus dem weiteren Wortlaut der Urkunde, wo der Abt erklärt, quod etiam in foro suo paratus esset comprobare instrumentis vel testibus.

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