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Die landrechtlichen Reformen König Ottokars II.

in Böhmen und Österreich.

Von

Emil Werunsky.

I.

Die Erörterung dieser Fragen wurde veranlasst durch das Buch von Miloslav Stieber,,Das österreichische Landrecht und die böhmischen Einwirkungen auf die Reformen Köuig Ottokars in Österreich 1).

Stiebers Arbeit zerfällt in drei Abschnitte. Der erste handelt über die Entstehungszeit der kürzeren Fassung des österreichischen Landrechtes (LR. I), der zweite über das böhmische Vorbild der österreichischen Reformen Ottokars, der dritte über die gerichtlichen Reformen Ottokars in Österreich. St.'s Meinung über LR. 1. ist jedoch nur eine Folge seiner Ansichten über den Charakter der Reformen Ottokars in Böhmen und Österreich. S. 34 und nochmals S. 37 stellt er nämlich die Behauptung auf, dass die Gerichtsreformen Ottokars in Österreich einerseits Hand in Haud mit den Reformen in Böhmen erfolgten, anderseits die böhmischen Rechtszustände zu ihrem Vorbilde hatten. Ist dies richtig, so muss die kürzere Fassung des Landrechtes der weiteren nachgefolgt, nicht vorangegangen sein". Es kommt daher alles darauf an, St.'s Prämissen auf ihre Stichhaltigkeit hin zu untersuchen, weshalb wir zunächst über Ottokars Reformen in Böhmen handeln müssen.

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1) In: Forschungen zur inneren Geschichte Österreichs hg. von Alfons Dopsch, Heft 2, Innsbruck, Wagner 1905. IX und 154 S. Die nachfolgende Abhandlung dient zugleich als Besprechung der Stieber'schen Arbeit.

Im 2. Abschnitte, S. 65 f. und 92 f. bespricht St. vor allem die älteste Verwaltungseinteilung Böhmens in Bezirke (provincia, districtus). Die Bezeichnung derselben als Župen, die auch St. gebraucht, ist eher zu vermeiden, da die Quellen unter dem Worte suppa keineswegs einen solchen Bezirk verstehen. Vorstand des letzteren mit militärischen und polizeilichen Befugnissen war der castellanus, später burggravius, so genannt von seinem Amtssitz, der Burg (castrum, castellum); die Gerichtsgewalt übte neben ihm ein judex provincialis oder cudarius. Die herrschende Meinung in der böhmischen Verfassungsgeschichte nimmt an, dass die staatliche Verwaltungseinteilung mit der Einteilung des Prager Bistums in Dekanate zusammengefallen sei, die kirchliche Einteilung sich an die staatliche angelehnt habe, wogegen H, Jireček Einsprache erhoben hat. Die Frage hat für den vorliegenden Zweck kein unmittelbares Interesse; nur nebenbei sei bemerkt, dass auch die deutschen Historiker früher eiu Zusammenfallen der staatlichen und kirchlichen Gliederung im ostfränkischen, späteren deutschen Reiche, angenommen hatten, bis tiefer gehende Forschungen in neuerer Zeit das Gegenteil erwiesen haben. Vgl. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, III, 437 f.; Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte, 5. Auflage 148, 404; Werminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelalter, I, 65 f.; Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben, I, 238.

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Die herrschende Meinung, zuletzt vertreten durch Rieger, Dějiny zřízení krajské v Čechách, I, 21 f, nimmt nun an, dass durch die seit König Přemysl Ottokar I. den geistlichen Stiften und Städten erteilten Exemtionen von der Gewalt der Kastellane und Provinzialrichter sowie durch. die Schenkungen und Verpfändungen königlicher Burgen an Private eine Zersetzung der Kastellaneiverfassung eingetreten und die Zahl der Burgbezirke verringert worden sei. König Přemysl Ottokar II. habe sodann mit organisatorischer Hand" eingegriffen und an die Stelle der Kastellaneiverfassung die Kreisverfassung eingeführt, indem er einige Burgbezirke zu je einem grösseren Bezirke, einem Kreise, zusammenlegte und für jeden derselben zweierlei Kreisbehörden organisierte: Die Cúda oder das Kreisgericht, dessen Sitz in eine Stadt des Kreises verlegt wurde, und das Amt der zwei aus den Herrenstandsfamilien. des Kreises vom König ernannten justiciarii (čech. popravce), welche die peinliche Gerichts- und die Polizeigewalt im Kreise gemeinsam auszuüben hatten; insbesondere ward ihnen die Verfolgung und standrechtliche Bestrafung der crimina manifesta1) zur Aufgabe gemacht. St.

1) Handbafte und notorische Verbrechen; vgl. Mayer, Deutsche und französische Verfassungsgeschichte, I, 227.

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spricht S. 65 von dem angeblichen Verfalle der Kastellaneiverfassung“, scheint also diesen Punkt der herrschenden Meinung zu bezweifeln, aber an der von König Přemysl Ottokar II. durchgeführten Kreiseinteilung hält er S. 103 f. nicht nur fest, sondern betrachtet dieselbe als Nachahmung der durch Bischof Bruno von Olmütz (1246-1281) straffer entwickelten Archidiakonatseinteilung 1); die Archidiakonatssprengel hätten, meint er, zugleich die Sprengel der Popravcen, die späteren Kreise, gebildet. Ein Detailbeweis für das Zusammenfallen der beiderseitigen Abgrenzungen ist meines Wissens bisher nicht erbracht worden und wird auch schwer zu erbringen sein. Näher liegt St.'s (S. 109) Vermutung, dass die ursprüngliche Zweizahl der Popravcen auf Nachahmung der päpstlichen judices delegati zurückzuführen sei.

Es frägt sich, ist die herrschende Lehre über die Organisation der Kreisverfassung und Errichtung der Kreisbehörden durch Ottokar II. quellenmässig bezeugt? Einen direkten und unzweideutigen Quellenbeleg hiefür gibt es nicht, die herrschende Meinung basiert grösstenteils auf Rückschlüssen aus den Quellen des 14. Jahrhunderts, wo einerseits Gerichte des böhmischen Landrechtes in Städten (cúda, districtus z. B. Greczensis, oder judicium provinciale) begegnen, anderseits justiciarii oder Popravcen, denen eine oder mehrere Provinzen oder Distrikte zur Amtswaltung übergeben wurden. Auch die čechische Übersetzung des Iglauer Stadtrechtes vou 1249, in welcher das Wort popravcov an Stelle von provincialium (aber ohne judicum) erscheint, ist keineswegs gleichzeitig, sondern erst aus viel späterer Zeit, St. S. 108 ist geneigt, in dieser Stelle die erste Spur von Popravcen zu finden, muss aber zugleich zugeben, dass der Ausdruck provincialis und selbst der deutlichere judex provincialis nicht immer den Popravcen bezeichnet; der Ausdruck justicarius für letzteren wird übrigens weit häufiger und regelmässiger gebraucht als judex provincialis. Auf eine andere Stelle, die hier noch in Betracht kommen könnte, hat bereits. Rieger in MJÖGF. XXIV, 153 f. hingewiesen. Es ist ein undatiertes. Stück aus dem Formelbuche des Henricus Italicus (Jireček, Codex juris Bohemici I, 158), welches Rieger und nach ihm St. viel zu modern als Landtagsbeschluss bezeichnen, während es den Charakter eines Weistums der böhmischen Barone besitzt. Dasselbe wird von Jireček und anderen mit geringer Wahrscheinlichkeit c. 1266 angesetzt. Nach Artikel 3 desselben haben die civitatum consules diejenigen, welche

1) Nachweisbar ist die Archidiakonatsverfassung in Böhmen und Mähren bereits im 12. Jahrh.

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Geächtete beherbergen oder sonstwie unterstützen, vou Amtswegen anzuklagen und zu richten, auch dann, wenn dieselben barones oder milites siud. Es geht kaum an, unter jenen civitatum consules Konsuln oder Ratmannen der Städte zu verstehen, die damals überdies zumeist als jurati bezeichnet wurden; Rieger fasst sie daher als Popravcen auf und verweist (Dějiny, 39 A. 15), zugleich auf den Landfrieden 1300-1301, wo sie consules terrae heissen. Die Erklärung St.'s, S. 110, die Bezeichnung civitatum consules komme daher, dass die Kreise der Popravcen mehrere Burgdistrikte in sich gefasst hätten, ist unzulässig, da civitas zur Zeit K. Ottokars II, nur Stadt, nicht mehr Burg oder Burgdistrikt bedeuten kaun. Auf jenem einzigen unsichern Belege beruht die Berechtigung, die Institution der sog. Popravcen noch auf Ottokar II. selbst zurückzuführen. Als Motiv, von welchem Ottokar sich hiebei leiten liess, gibt St. an, dass durch Zusammenschlagung mehrerer Burgdistrikte die Möglichkeit geschaffen werden sollte, die landschädlichen Leute in einem grösseren Gebiete verfolgen zu können“. Einen Beleg für jene Zusammenschlagung aus Ottokars Zeit gibt es nicht, erst der vollentwickelten Institution liegt wohl die Erkenntnis zugrunde, dass eine wirksame Verfolgung der Räuber, Wegelagerer und Mordbrenner, Konzentrierung der Strafgerichtsbarkeit und Polizeigewalt in einem übergeordneten Organe mit viel grösserem Amts. sprengel erheischte, da nur so verhindert werden konnte, dass die Verbrecher durch wiederholte Flucht aus einem Burgdistrikt in den andern sich der Strafe entzogen. Wäre auf diese Weise das Popravcenamt als ottokarische Institution zur Not gerettet, so ist dies nicht in gleicher Weise bei den sog. Kreiscuden der Fall. Die herrschende Meinung nimmt selbst an, dass sich zwei oder drei Kreiscuden innerhalb eines Popravcenkreises befanden. Dass Ottokar eine Kreiseinteilung einerseits für die Strafgerichts- und Polizeiverwaltung, auderseits für die Zivilgerichtsverwaltung, vorgenommen habe, ist schon anbetrachts der grossen Einfachheit des damaligen Behördenwesens ausgeschlossen; uirgends finden sich so komplizierte Verhältnisse. Auch St. pflichtet in diesem Punkte der herrschenden Lehre nicht bei, nach seiner Meinung wurden nur mehrere Burgdistrikte zu einem Popravcensprengel zususammengelegt. Gewiss sind mannigfache Änderungen im Bestande der königlichen Burgen und Burgdistrikte vorgekommen, aber im Grunde genommen gehen die sog. Kreiscuden aller Wahrscheinlichkeit nach auf die alten Provinzialgerichte zurück, die im 13. Jahrhunderte von den Burgen in die neuen bequemeren Verkehrszentren, die Städte, verlegt wurden. Aber auch dann, wenn man nur eine einzige Kreiseinteilung, nämlich die in Popravcenkreise gelten lässt, muss man die

Vorstellung fernhalten, als ob Umfang und Zahl dieser Kreise schon im 13. Jahrhunderte fest bestimmt worden seien; vielmehr zeigen die Quellen des 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts, dass die Kreiseinteilung selbst in dieser späten Zeit noch nicht zu völliger Stabilisierung gelangt ist. Immer noch werden districtus und provincia gleichbedeutend gebraucht (Jireček, Codex juris Bohemici, t. II. p. 3, pag. 87 u. f) und die Abgrenzung der Popravcensprengel war noch keine konstante. 1381 ernannte z. B. König Wenzel IV. einen justiciarius sive poprawczo districtus Mutensis, 1390 einen poprawczo districtus Greczensis, 1402 hingegen einen justiciarius sive poprawczo districtuum Graecensis, Chrudimensis et Mutensis.

Aber nicht nur die Organisation der Kreisverfassung stellt sich die herrschende Lehre viel zu modern vor, auch die von derselben behauptete und von St. S. 112 angenommene Begründung des obersten Landesgerichtes zu Prag durch denselben König ist mit den Quellen nicht wohl vereinbar. In den Urkunden der ersten 60 Jahre des 13. Jahrhunderts werden dieselben Personen mit verschiedenen richterlichen Titeln angeführt und zwar als judex curiae oder aulae regiae (öfter mit dem Zusatz summus), judex Pragensis, judex Bohemiae oder terrae oder regni (ohne oder mit dem Zusatz summus oder generalis). Hieraus zu schliessen, dass es in Prag gleichzeitig drei Arten von Gerichten gegeben habe, das Provinzialgericht, das Hofgericht und das Landgericht, und dass die drei verschiedenen Richterstellen von demselben Individuum kumuliert worden seien, ist bei dem einfachen Behördenorganismus dieser Zeit sehr unwahrscheinlich. Die Bezeichnungen für die Ämter und Rechtsinstitute waren damals noch nicht technisch, der Prager Provinzialrichter mag zugleich als k. Hofrichter fungiert haben, dem der König mehr und mehr den Gerichtsvorsitz überliess, während er nur mehr in wichtigeren Angelegenheiten persönlich des Richteramtes waltete. Dies. war aber schon vor Ottokar II. der Fall und steigerte sich nur unter demselben seit Erwerbung der südöstlichen Länder des deutschen Reiches. Dem Gerichte, dem der König nicht mehr regelmässig vorsass, waren die böhmischen Barone bestrebt, einen anderen, ständischen Charakter zu geben, was in der Bezeichnung als judicium terrae oder regni und des Vorsitzenden als summus judex terrae oder regni zum Ausdrucke kam. Diese Bezeichnungen setzen sich nach 1260 durch, so dass die Ausdrücke judicium curiae und judex curiae für lange Zeit verschwinden. Das Landgericht war also kein vollkommen neues Gericht. Der Wegfall des regelmässigen Gerichtsvorsitzes des Landesherrn tritt übrigens zur selben Zeit auch im deutschen Reiche und in allen Nachbarländern Böhmens (Österreich, Bayern, Meissen und Brandenburg) in ähnlicher

Mitteilungen XXIX.

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