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II.

Zu Beginn des ersten Abschnittes seines Buches gibt St. eine kurze Übersicht der Literatur des österreichischen Landrechtes, bekennt sich hier zur Ansicht von Dopsch, dass die längere Fassung des österr. Landrechtes (LR. II) eine von König Ottokar als Herzog von Österrreich 1266 erlassene Landesordnung sei, weicht aber zugleich von letzterem und den meisten bisherigen Autoren ab, inwiefern diese LR. I. als eine von den österr. Landherren wahrscheinlich i. J. 1236 oder 1237 veranlasste Aufzeichnung des österr. Gewohnheitsrechtes ansehen, während St. die Behauptung aufstellt, dass LR. I. erst nach LR. II. entstanden sei. Er führt hiefür formelle und materielle Gründe an. Manche von den Einwendungen St.'s gegen die herrschende Meinung sind bereits von Luschin (Die Entstehungszeit des österr. Landesrechtes, 1872, und Der deutsche Text des Mainzer Landfriedens und das österr. Landrecht in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, XXV, 541 f.) als mögliche Einwendungen im voraus berücksichtigt und besprochen worden, müssen hier aber der Vollständigkeit halber im kurzen wiederholt werden.

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In formeller Hinsicht sucht St. zunächst den Nachweis zu führen, dass der ottokarische Landfrieden (von 1254) eine Reihe von Kapiteln dem Text I der deutschen Fassung des Mainzer Reichslandfriedens von 1235 unmittelbar, nicht durch Vermittlung von LR. I, entlehnt habe. In der Tat sind diese Entlehnungen fast durchaus wortgetreu, doch finden sich auch kleine Zusätze und Änderungen, von welchen besonders die in den Artikeln 3, 4, 8, 12 des ottokarischen Landfriedens hervorzuheben sind. In A. 3 sind die Worte des keisers hulden" in unsern hulden und dem keiser" in uns" abgeändert, in A.4, der keiser" in „wir“, in A. 8,in allem sinem riche" in uber elliu unseriu laut", endlich in A. 12,dem keiser" in uns" und „siner keiserlichen gewalt" in unserm gwalt". Ausserdem ersetzen A. 2, 3 und 11 des ottokarischen Landfriedens das Wort sentbar des Mainzer Landfriedens durch unbesprochen"; A. 9 desselben hat überdies die Zusätze: ,wan swer sin vogtay selbe raubet, die er billich schermen soil, der hat billich die vogtay verlorn, und am Schlusse: „des das urber ist". Dieselben Änderungen und Zusätze finden sich aber auch in den beiden Fassungen des österr. Landrechtes (LR. I. A. 60 LR. II., § 79; LR. I. A. 61 LR. II, § 80; LR. I. A. 63 LR. II., § 82), welche die Kapitel 2 und 3 des Mainzer Landfriedens teils wortgetreu, teils in freier Wiedergabe übernommen haben. Unter solchen Umständen ist eine direkte Benützung des Mainzer Landfriedens einerseits durch den ottokarischen Landfrieden, anderseits durch die Landrechte ausgeschlossen, weil der

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Verfasser des ottokarischen Landfriedens und der des älteren 1) österr. Landrechtes nicht darauf verfallen sein können, genau dieselben Zusätze und Änderungen anzubringen. Zur Lösung dieser Schwierigkeit bieten sich folgende Annahmen. Entweder hat das ältere Landrecht den Mainzer Landfrieden durch Vermittlung des ottokarischen Landfriedens benützt oder der letztere hat den Mainzer Landfrieden durch Vermittlung des älteren Landrechtes benützt. Erstere Annahme ist ausgeschlossen, weil LR. I,. A. 65 LR. II., § 84 mit Mainzer Land

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frieden, K. 15, und LR. I, A. 66 LR. II. § 84 (Schluss) und § 85 mit Mainzer Landfrieden, K. 16 bis 19, meist wörtlich übereinstimmen, während eine Bezugnahme auf diese Kapitel im ottokarischen Landfrieden fehlt; aber auch letztere Annahme erweist sich als unmöglich, weil LR. I, A. 61 LR. II, § 80 die zweite Hälfte von K. 2 des Mainzer Landfriedens verkürzt wiedergeben, während der ottokarische Landfriede, A. 9, den ganzen Wortlaut jener Stelle des Mainzer Landfriedens übernimmt. Unter solchen Umständen erübrigt nichts anderes als die Annahme, dass der ottokarische Landfrieden und das ältere österr. Landrecht eine gemeinsame Quelle benutzt haben, die sich eng an die deutsche Fassung des Mainzer Landfriedens anschloss, aber bereits jene obenerwähnten Zusätze und Änderungen enthielt. Diese gemeinsame Quelle kann nur ein auf Grund des Mainzer Reichs-Landfriedens vom Herzog (Friedrich II.) erlassener besonderer Landfrieden für Österreich gewesen sein. Die Notwendigkeit dieser Annahme ist schon von Luschin im Neuen Archiv etc. XXV, 557 gelegentlich der Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem deutschen Texte des Mainzer Landfriedens und dem österr. LR. I dargetan worden. Übrigens gibt sich LR. I, A. 57 (— LR. II, § 75) ausdrücklich als eine „in ainem rechten gesworen landfride" giltige Bestimmung, von deren Befolgung man mit Erlaubnis des Landesherrn entbunden werden kann, woraus hervorgeht, dass die Bestimmung keinem Reichslandfriedens-, sondern einem provinziellen Landfriedensgesetze für Österreichs entnommen ist). Mit obigem Nachweis fällt die Behauptung St.'s, S. 13 und 17, dass die Worte ,unsern hulden" und uns" in LR. I, A. 63 auf die Benutzung von LR. II und des ottokarischen Landfriedens zurückzuführen seien.

1) Ob LR. I oder II diese ältere Fassung sei, bleibe vorläufig dahingestellt; die jüngere Fassung kommt hier nicht in Betracht, weil es sich um Artikel handelt, die in beiden Fassungen gleichlautend sind und die die jüngere Fassung der älteren entlehnt haben muss.

2) Für LR. I, A. 57 nahm schon Hasenöhrl, Österr. Landrecht 163, Benützung eines älteren unbekannten Landfriedens an.

Grosse Bedeutung für die Richtigkeit seiner These legt St., S. 17 ferner dem Umstande bei, dass sich die Stelle des rudolfinischen Landfriedens von 1276 über die Muntmannen in LR. I. A. 48 übersetzt finde, was durch die Schwerfälligkeit und Ungelenkheit des deutschen Textes bewiesen werde. Mit demselben formellen Rechte hat Luschin, Entstehungszeit 41 ein umgekehrtes Verhältnis der beiden Rechtsdenkmäler behauptet. Die Ungelenkheit des Landrechtstextes erklärt sich einfach aus der Tatsache, dass das Deutsche als Kanzleisprache noch völlig neu war. Noch weiter als St. geht Hasenöhrl, Beiträge zur Geschichte der Rechtsbildung und der Rechtsquellen in den österr. Alpenländern bis zur Rezeption des römischen Rechtes (Archiv f. ö. G., 93. Band), S. 295, der auch Entlehnung von LR. I, A. 23 (= LR. II, §19) aus dem Landfrieden von 1276 behauptet. Dieser Artikel behandelt den Eigentumsprozess über eigene Leute, aber der Umstand, dass nur der Landfriede von dem hier ausgesprochenen Rechtsgrundsatze die mit kaiserlichen oder landesfürstlichen Privilegien begabten Städte ausnimmt, spricht für das umgekehrte Verhältnis. LR. I konnte diesen Vorbehalt nicht machen, weil bis zur Zeit seiner Entstehung die Städte noch keine solchen Privilegien erhalten halten. Erst das Privileg Kaiser Friedrich's II. vom April 1237 für Wien verordnete, dass alle, die Jahr und Tag ohne Ansprache ihres Herrn in der Stadt gewohnt hatten, als Bürger gelten sollten.

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Es folgen die Behauptungen St.'s, S. 16-19, dass die Überschrift von LR. I (das sind die recht nach gewohnheit des laudes bei herczog Leupolten von Österreich) gefälscht sei, dass der Inhalt desselben gar nicht den Charakter eines Gewohnheitsrechtes besitze, weil es Satzungen der Landfrieden von 1235 und 1276 aufgenommen habe, dass darin auf das Gewohnheitsrecht als auf etwas Anderes hingewiesen werde" u. a. Die in LR, I übergegangenen Satzungen des Mainzer Landfriedens machen doch nur einen kleinen Teil desselben aus, so dass man es mit Rücksicht auf den potior pars noch immer als Gewohnheitsrecht bezeichnen konnte. Was sodann den Einwand betrifft, dass in LR. I. auf das Gewohnheitsrecht als auf etwas Anderes hingewiesen werde", so besagen die von St. hervorgehobenen Artikel nur, dass der Landesherr sich als Richter an des Landes Gewohnheit, d. h. an das ordentliche Gerichtsverfahren, halten solle. Letzteres steht eben im Gegensatz einerseits zu der die Formen des Gewohnheitsrechtes missachtenden Willkürherrschaft und eingerissenem Missbrauch, auderseits zu dem in gewissen Fällen angewandten, ausserordentlichen Gerichtsverfahren (z. B. Rüge einzelner Delikte und Landfrage), welches eine Einschränkung oder gar den Ausschluss des Rechtes des Beklagten zum Reinigungseid

bezweckte und deswegen unbeliebt war (vgl. v. Zallinger a. a. O., S. 111, 125 und 140).

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S. 19 behauptet St., dass LR. II. geschlossener, einheitlicher sei und logische Folge der Paragraphe aufweise, während in LR. I logischer Zusammenhang der Artikel vielfach fehle. Von diesem allgemeinen Urteil über LR. I. ist die Pesther Handschrift desselben von vornherein auszuschalten, da in derselben, wie Hasenöhrl, Österr. Landesrecht, S. 6 u. 14 gezeigt hat, der Versuch einer systematischen Anordnung des Stoffes gemacht ist, indem die land- und lehnrechtlichen Artikel desselben getrennt, und den land-, bezw. lehurechtlichen Artikeln des Schwabenspiegels gegenüber gestellt wurden. Was die Anordnung der Artikel in den übrigen Handschriften von LR. I betrifft, so legt St., letzterem gegenüber nicht selten einen rigoroseren Maßstab an als betreffs LR. II. So behauptet er z. B., dass in LR. I gleich nach dem A. 14 die § 69, 70 u. 71 des LR. II als A. 15, 16 u. 17 eingereiht seien, welche die Frage behandeln, wann der Landesherr ohne eine Privatklage urteilen (soll heissen: richten) dürfe. Diese Artikel wurden aus ihrem natürlichen Zusammenhange mit den § 64, 65, 66, 67 u. 68 des LR. II, welche von den Fällen einer Privatklage handeln, losgegerissen". Zallinger a. a. O., S. 115, ist zwar im allgemeinen der Ansicht, dass die Anordnung des Stoffes im österr. Landrecht nirgends. eine streng logische und systematische ist, wobei er im Gegensatz zu St. zwischen den beiden Fassungen keinen Unterschied macht1), anderseits gibt er gerade betreffs LR. I zu (S. 91), dass es in seinem ganzen 1. Teil bis A. 18 wesentlich nur Kriminalrecht enthalte, und weist S. 117 Anm. den inneren Zusammenhang der Artikelreihe dieses 1. Teiles nach. Die Artikel 9-14 handeln vom gerichtlichen Zweikampf, die A. 15-17 von der Landfrage; ein Zusammenhang ergibt sich doch daraus, dass sich beide Artikelreihen auf das Beweisrecht im Strafverfahren beziehen. Ich kann nicht finden, dass die Einfügung der § 69 bis 71 im LR. II, welche den Artikeln 15-17 des LR. I entsprechen, natürlicher und passender sei, denn § 68 handelt von der Klage wegen Heimsuchung (Hausfriedensbruch), §. 72 von der Fehde des Landesherrn gegen seinen Hausgenossen. In LR. II folgt nach § 12, der vom Kampfordal handelt, § 13 über die Fronung des Eigens, während im LR. I der dem § 13 entsprechende A. 18 den über die Landfrage handelnden A. 15-17 folgt. Letztere Anreihung geschah nach St. ohne jede logische Verknüpfung, die erstere hingegen schliesse sich

1) Hasenöhrl, Österr. Landesrecht 17 hebt gleichfalls im Gegensatz zu St. hervor, dass die Redaktion der Wiener Handschrift (also von LR. II) mit ausserordentlicher Flüchtigkeit vorgenommen worden ist.

naturgemäss dem Gange des Gerichtsverfahrens an. Als ob sich dies nicht mit demselben Rechte auch von der Anreihung in LR. I sageu liesse, wo auf die beweisrechtlichen Artikel der auf das Vollstreckungsverfahren bezügliche folgt. Besonders unlogisch erscheint St. die Aufeinanderfolge der A. 54 und 55 im LR. I, weshalb er sie mit einem Ausrufzeichen markiert. Sehen wir zu, wie es sich damit verhält. A. 53 behandelt den Fall, wenn der Beklagte die kampfliche Ansprache des Klägers zurückweist, weil er nicht sein Hausgenosse sei. A. 54 spricht davon, dass einer seinen Hausgenossen oder seinen Übergenossen heimsucht. A. 55 endlich handelt davon, dass der Landesherr seinen Hausgenossen angreift. Der in jedem der drei Artikel vorkommende Begriff der Hausgenossenschaft (Ebenbürtigkeit, Standesgleichheit) vermittelt hier den von St. vermissten Zusammenhang. Nicht so rigoros ist St. bei Beurteilung des logischen Zusammenhanges von LR. II. So enthält. z. B. § 59 das Verbot, Holden oder Vogtleute anderer als Knechte anzunehmen, § 60 die Anerkennung der herkömmlichen Zuständigkeit der Gerichte, § 61 betrifft die Gerichtsbarkeit über Gewalt, § 62 das Verbot der Beherbergung übersagter Leute, § 63 ein solches der Einigungen, § 64 ein Verbot des Haltens von Muntmannen. Nach St. schliessen sich diese § gut einander an, da sie von der strafbaren Ver-schuldung handeln. Gewiss ist aber hier der Zusammenhang kein engerer als im vorigen Falle bei LR. I. Dass ein wirklich logischer Zusammenhang die Aufeinanderfolge der § 59 und 64 verlangt hätte, ist gewiss unleugbar, St. aber hat sich gehütet, dieses Mangels Erwähnung zu tun, wie ihn auch andere, längst von Luschin festgestellte Tatsachen, dass das Verbot der Irrung landesherrlicher Münze zweimal (in den § 36 u. 74) vorkommt, und dass die verwandten § 19 u. 59 verkehrte Bussansätze für Herrn und Richter anführen, in seinem Urteil über LR. II nicht wankend gemacht hat. Gesetzt übrigens, LR. II stehe hinsichtlich der inneren und sachlichen Komposition" weit über LR. I, so bleibt es doch unbegreiflich, warum der Kompilator von LR. I die § des LR. II mehrmals ihres natürlichen Zusammenhangs entkleidete und durcheinanderschob, denn, so begreiflich es ist, dass ein späterer Bearbeiter die systemlos aufeinanderfolgenden Artikel eines Rechtsbuches in eine gewisse stoffliche Ordnung bringt, so undenkbar ist es, dass die einmal systematisch an einander gereihten Artikel wieder in volle Systemlosigkeit auseinander gerissen werden" 1).

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S. 24 f. bestreitet St., dass LR. I, A. 27, welcher von der 30jährigen Verjährungsfrist, verlängert um die Frist von ein Jahr und ein Tag spricht,

1) So treffend Hasenöhrl, Österr. Landesrecht, S. 15.

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