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gabe zum Dozenten für historische Hilfswissenschaften am Institute bestellte. Sickel, dessen französische Mission erloschen war, nahm an. Er war damit zeitlebens für Österreich gewonnen. 1857 wurde seine Stellung durch Ernennung zum ausserordentlichen Professor mit den Universitätseinrichtungen in Einklang gebracht. Er hatte im Institut Paläographie, Urkundenlehre und Chronologie vorzutragen.

Sickel hatte diese Fächer in Paris mit Eifer getrieben, aber doch nur, um sich für seine Forschungen in den Archiven gründlichst zu schulen. Mit jenem Pflichteifer und jener unverwüstlichen Tatkraft, die ihn jederzeit auszeichnete, stellte er nun seine reichen Kollektaneen zurück und widmete sich vollständig seiner neuen Aufgabe als Dozent der Hilfswissenschaften, in Lehre wie in Forschung.

Das erste war die Schaffung eines paläographisch-diplomatischen Lehrapparates für das Institut. Da es an geeigneten im Handel befindlichen Sammlungen fehlte, schritt er an eine eigene, den obwaltenden Verhältnissen in jeder Hinsicht entsprechende Publikation. Schon im Dez. 1856 fanden die ersten Konferenzen statt und bereits vom 1. Jan. 1858 datiert seine Vorrede zu den beiden ersten, unter den Auspizien des Ministeriums herausgegebenen Heften der Monumenta graphica. Da Lombardei und Venetien noch zum Kaiserstaat gehörten, vermochte er aus den inländischen Sammlungen Proben fast aller lateinischen Schriftarten von dem frühesten bis zum ausgehenden Mittelalter zu bieten, zugleich also auch die Erforschung der österreichischen Geschichte im besondern zu befruchten. In ausgedehnterem Masse als die Buchschriften sollten die viel mannigfacheren Formen der Urkunden berücksichtigt werden. Beim Besitz der Archive des damaligen Kaiserstaates an Kaiser-, Papst-, Fürsten-, deutschen und italienischen Privaturkunden konnte eine Auswahl geboten werden, welche sowohl für die allgemeine als für die verschiedensten Zweige der Spezialdiplomatik ein treffliches Lehr- und Hilfsmittel bildete.

Für die Vervielfältigung wurde zum erstenmal in grossem Massstab die noch junge Photographie verwendet und zwar, um die volle Treue zu wahren, ohne Retouche. Zur Erläuterung beigegeben wurden, was bisher ebenfalls nicht gebräuchlich war, buchstabengetreue Transcriptionen der Texte, wie sie jetzt bei guten paläographischen Sammlungen mit geringen Verbesserungen allgemein üblich sind, ein Zeugnis für Sickels treffsicheres Verständnis in allen didaktischen Fragen.

In rascher Abfolge erschienen bis 1869 neun Lieferungen von je zwanzig Tafeln. Freilich konnte das Programm nicht vollständig eingehalten werden. Die Abtrennung der italienischen Provinzen liess eine

wichtige Quelle versiegen, das Wiener Staatsarchiv, das heute ein beneidetes photographisches Atelier besitzt, scheute sich damals, Originale photographieren zu lassen; die rühmenswerte Liberalität der grossen österreichischen Stifte konnte diese Lücke doch nicht ganz füllen. Endlich verhinderte die Auflassung der photographischen Anstalt in der Staatsdruckerei die Erprobung eines Verfahrens, welches dem Verblassen weniger ausgesetzt war, als die Silberkopien. Mit einer erst 1882 in wenig geglückter Ausführung erschienenen zehnten Lieferung schloss das Werk. Sickel verwies darauf, dass die geänderten Verhältnisse nun auch andersgearteter Sammlungen bedürften.

Die Monumenta graphica waren für ihre Zeit eine fruchtbringende Tat, deren Bedeutung wir uns bei der heutigen Fülle von derartigen Tafelwerken nicht mehr so leicht vergegenwärtigen können. Sie haben auch als Torso ihre Schuldigkeit getan für den Unterricht besonders im Institut und auf den österreichischen Hochschulen, aber auch für die Einbürgerung neuer Vervielfältigungsverfahren und den Betrieb der Paläographie überhaupt. Sickel selbst gewann durch die Auswahl und Bearbeitung dieses Stoffes rasch eine ausserordentliche Kenntnis der Schätze in den österreichischen Archiven und Bibliotheken, die seinen Schülern wieder tausendfach zu gute kam.

Schon die knappen Bemerkungen zu den Transcriptionen lassen Sickels Selbständigkeit in der Wertung der Abkürzungen erkennen. Er hat sich dann als erster seit U. F. Kopp wieder eine volle Kennerschaft in den so schwierigen tironischen Noten erworben. Und wo er in seinen späteren Arbeiten paläographische Untersuchungen zu liefern hat, zeigt er eine erstaunliche Erudition und Beherrschung weit zerstreuten Stoffes: immer voll Schärfe und Genauigkeit der Beobachtung, auch die geringsten Details werden berücksichtigt und erklärt, nicht in antiquarischer Kleinigkeitskrämerei, sondern wenn sie sich als Glieder grösserer Zusammenhänge verwenden lassen. Ich verweise etwa auf die Charakteristik der Salzburger Schrift in den Alcuinstudien, auf die Erörterungen über die Minuskel des X. Jahrh. im Privileg Ottos I. für die römische Kirche, auf die Altersbestimmung des vatikanischen Codex des Liber diurnus mit den weitausgreifenden Vermutungen über die Entstehung der karolingischen Minuskel, oder nach anderer Richtung auf die zahlreichen Schriftbestimmungen von Kaiserurkunden, welche uns zu Sickels Leistungen in der Diplomatik hinüber leiten.

Nachdem für den paläographischen Unterricht Vorsorge getroffen war, widmete Sickel der Urkundenlehre sein Hauptaugenmerk.

In Frankreich, wo der wissenschaftliche Betrieb dieser Disziplin nie erloschen war, hatte zuletzt 1838 Wailly die allgemeine Diplomatik

ganz nach Art des XVIII. Jahrh. behandelt. Weit förderlicher für die Forschung war, dass in den fünfziger Jahren Huillard-Breholles und Delisle tief eindringende, wenn auch bei der bisherigen Methode verharrende Monographien, der eine über die Urkunden Friedrichs II., der andere über jene Innocenz III. lieferten. In Deutschland war die Diplomatik als Hilfswissenschaft der Juristen betrachtet und als solche seit der französischen Revolution überflüssig geworden. Bei der an der philologischen Kritik aufgewachsenen Geschichtsforschung des XIX, Jahrh. verloren die formalistischen, oft kritisch ganz unhaltbaren Regeln der gangbaren diplomatischen Handbücher begreiflicher Weise allen Kredit, so dass man es auch unterliess, den alten genialen Mabillon zu studieren. Dagegen die Urkunden als Geschichtsquellen wurden immer mehr geschätzt, besonders seitdem J. F. Böhmer mit seinen Kaiserregesten überaus befruchtend auf die politische Kaisergeschichte gewirkt hatte. Später begannen auch Waitz und Ficker mit nicht geringerem Erfolge die Urkunden für Verfassungsgeschichte zu verwerten.

Für die Kritik der Urkunden wendete man wohl die für die Scriptores erprobten Regeln an, da man aber die Sonderart jener Quellen nicht kannte oder beachtete, bewegte man sich in einem vielfach recht willkürlichen Schwanken. Beim Fortschreiten der Forschung wurde man sich dieser methodischen Lücke immer mehr bewusst. Dass man, um sie auszufüllen, von Böhmers Regesta Imperii ausgehen müsse, erschien schon darum selbstverständlich, weil hier der Stoff für die wichtigste Urkundengruppe gesammelt und bis zu einem gewissen Grad kritisch gesichtet vorlag. Als Endziel erschien durchaus Förderung der Reichsgeschichte. So arbeitete Stumpf schon seit 1856 an seinen Reichskanzlern. Und auch Sickel ging zunächst darauf aus, verbesserte Regesten zu liefern. Die Überweisung der zahlreichen Schrifttafeln karolingischer Urkunden aus dem Nachlasse U. F. Kopps an das österreichische Institut im Jahre 1858 gab ihm den ersten Anstoss, diese Epoche zu erforschen, aber auch, direkt auf die Beschaffenheit der Originale zurückzugehen. Gleich den Franzosen wählte er einen enger begrenzten Stoff, bearbeitet diesen aber erschöpfend, er treibt Spezialdiplomatik bei voller Beherrschung des überlieferten Wissensstoffes in der allgemeinen Urkundenlehre. Er vereinigt deutsche und französische Richtung.

Schritt für Schritt können wir verfolgen, wie die Absicht die Karolinger Regesten zu verbessern, Sickel immer tiefer in die Probleme der Urkundenlehre hineinführt, ihn die Eigenart dieser Quellen immer besser erkennen und endlich neue, haltbare Methoden zur Lösung

dieser kritischen Fragen ersinnen und anwenden lässt, durch welche er zum Bahnbrecher auf dem Gebiete der Urkundenlehre wird.

Der erste seiner Beiträge zur Diplomatik 1861 will als Vorarbeit nur die Kanzlerreihen unter Ludwig dem Deutschen feststellen. Voraussetzung ist gesichertere chronologische Einordnung der Urkunden als bei Böhmer, dafür wieder eingehende Untersuchung vieler derselben. Um zu sichern Ergebnissen zu gelangen, will er die für die erzählenden Quellen erprobten kritischen Regeln systematisch auf die Urkunden anwenden. Mit aller Vorsicht geht er von jenen Merkmalen aus, die sich ohne die ihm noch mangelnde volle Kenntnis der Originale behandeln lassen, namentlich dem Formular, er stellt dessen Wandelungen nach Regierungs- und Kanzlerperioden fest und bringt die Scheidung von selbständigen und aus Formeln oder Vorurkunden abgeleiteten Texten bei den erzählenden Quellen durch Pertz eingebürgert zuerst in Fluss.

Der III.-V. Beitrag (1864) will Grundlagen für richtige und bei aller Knappheit erschöpfende Regesten der ältern Karolingerurkunden schaffen. Dazu ist klare Erkenntnis des Rechtsinhaltes nötig. Den Weg hierzu bahnt sich der Verfasser, indem er aus dem Vergleich der erhaltenen und der aus den übereinstimmenden Urkunden ableitbaren Formulare mit dem Wortlaut der Diplome nach der formalen Seite hin den typischen Inhalt von den Ausnahmsfällen scheidet, welche letztere die Weiterbildung der Rechtsinstitutionen aufzeigen. Für die richtige Formulierung des Regestes muss auch der materielle Inhalt dieser Rechtsinstitutionen festgestellt werden, dessen zutreffende Erfassung wieder für die Beurteilung bedenklicher Stücke ausschlaggebend wird. Diese Grundsätze führt er für die so wichtigen Gruppen der Munt- und Immunitätsprivilegien durch, ein Beitrag gleich wertvoll für die Rechtsgeschichte wie für die Diplomatik. Eben damals war Heinrich Brunner sein Schüler, der die diplomatische Forschungsmethode in die Rechtsgeschichte einführte.

Nach fünfjähriger, höchst konzentrierter Vorbereitung erschienen dann 1867 die Acta Karolinorum. Der zweite Bd. enthält die Regesten der eigentlichen Herrscherurkunden von 751-840 mit tiefgründigem Kommentar, für Jahrzehnte einer der wichtigsten Beiträge zur Karolingergeschichte. Geradezu epochemachend aber war der erste Band, welcher die Speziadiplomatik dieser Periode, erweitert zu einer Einführung in die Urkundenlehre und einer Neubegründung dieser überhaupt bietet.

Vorbildlich durch die überaus scharfsinnige und umsichtige Bearbeitung in den Einzelheiten liegt der dauernde Wert in der lichtvollen Darlegung der Aufgaben der Diplomatik und in der Aufdeckung neuer,

sicherer Methoden für die Urkundenkritik. Diese Lehren sind Gemeingut geworden, wir können sie kurz in die Sätze zusammenfassen: die Lehre von den wesentlichen Merkmalen der Urkunden ist auf den Vergleich der Originale einer zusammengehörigen Urkundengruppe aufzubauen, das Urteil ob ein Stück Original ist, hängt in erster Linie vom Schriftbeweis ab (ob es von der Hand eines bekannten Kanzleinotars, Recognoscenten etc. herrührt). Aus den also gesicherten Originalen ergeben sich die wesentlichen inneren Merkmale, welche auch in den Abschriften unverändert erhalten sein können und daher für deren Glaubwürdigkeit massgebend sind (also ob das Formular dem in der Kanzlei vorgeschriebenen oder dem von einem bestimmten Kanzleinotar gebrauchten entspricht).

Möglichste Heranziehung der Urquellen, umfassende Sichtung der ganzen Überlieferung sind notwendige Voraussetzungen solcher Studien, sie waren der Neigung Sickels jederzeit ebenso kongenial als abschliessende Untersuchungen. Er hat sich die Aufgaben durchaus so gestellt, dass er sie auch dem Umfang nach lösen konnte, wenn nicht unberechenbare äussere Ereignisse hemmten. Die ununterbrochene Beschäftigung mit der Paläographie gewöhnte ihn an schärfste Beobachtung, an das Streben nach voll gesicherten, an die offene Ausscheidung von bloss hypothetischen Ergebnissen. Dass er veranlasst war, mit der Karolingerzeit einzusetzen, erleichterte dem Paläographen die Erkenntnis des Schriftbeweises, da damals noch die eigenhändige Recognition des Oberbeamten Vorschrift war. Neben den äussern Merkmalen sind ebenso nachdrücklich die innern, neben dem formelhaften und formalen ist gleich stark der materielle Inhalt berücksichtigt.

Sickel hat sich an dem ersten Begründer der Urkundenlehre Mabillon geschult, kein Forscher hat seitdem diesen Wissenszweig in gleichem Masse gefördert, wie unser Meister. Die von ihm aufgestellten Grundsätze haben Geltung, soweit das Wesen der urkundlichen Quellen gleich bleibt, sie gehören der allgemeinen Diplomatik an.

Für die spätern Karolinger und die Ottonen hat Sickel selbst noch die Spezialdiplomatik geliefert, seine Methode weiterbildend und verfeinernd, der wechselnden Beschaffenheit des Materiales anpassend, nach seinem Grundsatz, dass er nur eine diplomatische Methode kenne, welche der Stoff selbst an die Hand gibt.

Hatte er früher schon gelehrt, dass jede Urkunde eine Quelle individueller Gestalt sei, bei der unbeschadet der Originalität und Glaubwürdigkeit die Besonderheit der Entstehung oder des Inhaltes zu Besonderheiten der Form führen könne, so gaben ihm die von verwandten Gesichtspunkten ausgehenden Forschungen Fickers die Anregung, die

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