Slike stranica
PDF
ePub

Entstehungsgeschichte der einzelnen Urkunden bis in die feinsten Fasern zu zergliedern, um die zahlreichen Unregelmäßigkeiten und Widersprüche aufzuklären, welche sich durch die von ihm erwiesene gelockerte Organisation der k. Kanzlei und unfähige oder nachlässige Notare im X. Jahrhundert in die Diplome einschleichen und deren Verwertung als historische Zeugnisse überaus erschweren. Aus der grossen Fülle der Ergebnisse seien nur zwei allgemeinere angedeutet: die Lösung der überaus verwickelten Datierungsfragen, der Sickel mehrere eigene Abhandlungen widmete und die Tatsache, dass die Zahl der gefälschten oder verdächtigen Urkunden sich verminderte, also jene der glaubwürdigen Quellen sich vermehrte.

Indem Sickel fern von formalistischer Einseitigkeit für die Erklärung des einzelnen Urkundenindividuums wie ganzer Urkundenarten die geschichtliche Umwelt in vollem Masse heranzieht, kommen die Ergebnisse der neu begründeten Diplomatik auch wieder der Geschichtsforschung auf der ganzen Linie zugute, besonders auch den jüngern, der Erforschung der Zustände zugewendeten Richtungen; diese lebendige Wechselwirkung hat trotz anfänglichem Widerspruch den historischen Hilfswissenschaften Geltung erobert in der Forschung wie im Unter

richt.

Das führt uns zur Stellung Sickels im Institut zurück.

Die Vorträge und die Initiative verschafften dem jungen Extraordinarius soviel Beifall, dass der Direktor alsbald im Ministerium klagte, die Mitglieder befassten sich nur mehr mit Hilfswissenschaften. Aber Graf Leo Thun und sein erleuchteter Kreis erkannten den didaktischen Wert dieser Disziplinen für die kritische Schulung so vollkommen, dass sie in den provisorischen Statuten des Jahres 1857 die ursprüngliche Stellung der Hilfswissenschaften gegen den Direktor in vollem Umfang aufrecht erhielten.

Sickels geistige Bedeutung trat um so stärker hervor, als er --- der Sohn eines Pädagogen ein unübertrefflicher Lehrer war. Grösster Eifer und tiefes Pflichtgefühl paarten sich mit voller Beherrschung des Stoffes; einfach, klar und eindringlich die Rede, auch beim trockensten Stoff wusste er zu fesseln, als das grösste Meisterstück erscheint mir sein Kolleg über Chronologie. Die Übungen brachte er gerne in unmittelbaren Zusammenhang mit seinen Forschungen, die ja wieder aus den Vorträgen hervorgegangen waren. In der Diskussion kam jede Meinung zur Geltung, wie in seinen Schriften liess er sich auch von den Hörern gerne belehren. Drum suchte auch jeder Schüler die an ihn gestellten oft weitgehenden Forderungen möglichst zu erfüllen; man wusste, Sickel war sich gegenüber ebenso streng.

Er war geboren zu befehlen. Seine Autorität trat oft schroff hervor, gemildert nur durch seine Selbstzucht und sein warmes Wohlwollen für seine Schüler, so dass sich unschwer wieder das rechte Wort des Ausgleiches fand. Er war damals schon die eigentlich führende Persönlichkeit im Institut, der sich die hervorragendsten Mitglieder: Brunner, Thaner, v. Luschin, Zeissberg, Thausing, Kürschner anschlossen.

Als im Jahre 1869 Jäger zurücktrat, schien es wohl selbstverständlich, dass Sickel sein Nachfolger werde, zumal er seit 1867 Ordinarius war und 1870 wirkliches Mitglied der Akademie wurde. Aber er ward zunächst nur provisorisch mit der Leitung betraut, Intrigen, Bedenken, Aspirationen machten sich gegen ihn geltend, erst 1873 ging das Provisorium stillschweigend in ein Definitivum über. Nach seinen Anträgen erfolgte bereits 1874 in manchen Punkten eine zeitgemässe Reorganisation der Anstalt, sie wurde bestimmter zur Pflanzschule für gelehrte Staatsanstellungen, besonders an Archiven und Museen gemacht; zum Teil in Zusammenhang damit wurde der Lehrkörper durch einen Kunsthistoriker und einen zweiten Vertreter der Hilfswissenschaften vergrössert. Alle diese Posten konnten mit Schülern Sickels besetzt werden.

Das Institut trug nun vollends die Signatur der führenden Persönlichkeit in den Hilfswissenschaften; auch Sickels äussere Stellung entsprach der des Hauptes einer immer zahlreichern Schule in und ausserhalb Österreichs, die ihn heute noch ungemindert als den geistigen Vater des Instituts ehrt, nach seinen Anregungen, in seinem wissenschaftlichen Geiste zu wirken und zu schaffen strebt. So sehr die historischen Hilfswissenschaften, besonders unter Sickels Leitung, im Institut als methodisches und kritisches Bildungsmittel dienten, so wenig bedingten sie eine einseitige Richtung der Schüler, die ja Sickels eignen Studien und seinem weiten Interessenkreis fern lag. Wohl suchte er diese Wissenszweige als wichtiges Hilfsmittel der Geschichtsforschung einzubürgern, mit Erfolg trat er für Errichtung hilfs wissenschaftlicher Lehrkanzeln an den österreichischen Universitäten ein, Deutschland und Italien folgten seinem führenden Beispiel. Auf wie mannigfachen Gebieten und nicht am wenigsten auf dem der österr. Geschichte sich dagegen seine Schüler betätigten, zeigt am besten diese 1879 unter Sickels Leitung ins Leben gerufene Zeitschrift.

Im Jahre 1874 bestand übrigens hohe Gefahr, dass Sickel seiner Schöpfung durch einen ehrenvollen Ruf nach Berlin verloren gehe. Die österreichischen Historiker und nicht nur sie haben heute noch allen Grund sich zu freuen, dass es gelang, den berühmten Forscher und Lehrer für Wien zu erhalten. Denn unter den Bedingungen seines Hierbleibens war

namentlich auch die, dass Österreich fortfahre, sich an dem grossen deutschen Nationalwerke der Monumenta Germaniae historica zu beteiligen.

Als durch die Neuordnung dieses Unternehmens im Jahre 1875 frisches Leben in die Leitung kam, da gab es nur eine Stimme, dass der Neubegründer der Diplomatik der einzig berufene Mann für die seit fünfzig Jahren ersehnte Herausgabe der Kaiserurkunden sei. Mit Begeisterung machte er sich an die Aufgabe, die ihm selber schon so lange am Herzen gelegen. Tüchtige Schüler traten ihm als Mitarbeiter zur Seite, in Übungen und Ferienreisen beteiligte sich oft das ganze Institut an der Forschung.

Wohl vorbereitet richtete Sickel seine Diplomata-Abteilung in Wien ein; er erwies sich als trefflicher Organisator. Er setzte mit den Diplomen des X. Jahrhunderts ein; er hatte die Möglichkeit gewonnen, dass für die Karolinger der Boden durch Mühlbachers Neubearbeitung der Karolingerregesten noch besser durchpflügt werde und sein Wissensdurst drängte ihn zur Erforschung einer ihm noch weniger bekannten, aber nicht weniger schwierigen Epoche. Und er hat das meisterhaft geleistet. Freilich hatte diese Stoffwahl auch gewisse nicht ganz zu überwindende Schattenseiten, da z. B. zum Schaden der Diktatuntersuchungen über die Formulare der spätern Karolingerzeit noch nicht genügende Klarheit herrschte.

[ocr errors]

"

Von 1879-1893 edierte er mit seinen Gehilfen in zwei Bänden die Diplome von 911 bis 1002. Das Schwergewicht lag von vorneherein nicht in der Erschliessung noch unbekannter Urkunden, sondern in der Art der Veröffentlichung. Durchaus sollte auf die beste Überlieferung zurückgegangen werden. Das 1876 für die Bearbeitung veröffentlichte Programm und Instruktion" zeigt in lehrreicher Weise, wie gründlich und umfassend die Archivforschung gemacht werden sollte und soweit als möglich hielt er sich daran; seine Kaiserurkunden in der Schweiz und sein VI. Beitrag zur Diplomatik geben. Beispiele für die Art der Untersuchung einzelner unter sich zusammenhängender Gruppen. Der ganze Stoff wurde so durchgearbeitet, dass eine abschliessende Spezialdiplomatik gewonnen wurde, von deren Ergebnissen schon früher die Rede war; es sei nur noch hinzugefügt, dass neben der Schriftvergleichung die Diktatuntersuchung eine besonders wichtige Rolle spielte. So wurden der Ausgabe selbst die richtigen. diplomatischen Kriterien für die formale Beurteilung der Originalität, aber auch in ausgedehntem Masse für die Zuverlässigkeit der Kopien und für die Echtheitsfrage gewonnen. Nur bei etwa dem zehnten Teil dieser Dokumente glaubte Sickel den Grad der Glaubwürdigkeit nicht sicher entscheiden zu können.

Die Abdrücke streben nach möglichster Korrektheit und schliessen sich den Originalen und dem Stand unserer diplomatischen Erkenntnis soweit an, als es ohne Künstelei möglich war. Mehrfacher Wechsel der Mitarbeiter und längeres schweres Unwohlsein, das Sickel zu Beginn der achtziger Jahre behinderte, haben ja manche Ungleichmässigkeit verschuldet, im ganzen aber wurde Plan und Durchführung durchwegs als monumental und vorbildlich anerkannt. Die Fortsetzer des Unternehmens, Bresslau und Mühlbacher, fanden doch nur in wenigen Punkten Anlass zur Verbesserung seines Vorgehens.

[ocr errors]

Zur Erläuterung der Acta Karolinorum hatte Sickel 1870 Tafeln mit Karolingerurkunden aus dem Nachlasse von U. F. Kopp herausgegeben. Die Generaldirektion der k. preuss. Staatsarchive unter Heinrich von Sybel bot nun die Mittel, um nicht nur für die beiden Bände der Diplomata sondern die Kaiserurkunden des Mittelalters überhaupt ein ähnliches Hilfsmittel zu liefern. Es ist das auch technisch vorzüglich gelungene Tafelwerk Kaiserurkunden in Abbildungen" (1880 -91). Der wissenschaftliche Plan und die wissenschaftliche Leitung waren durchaus Sache Sickels. Es wird eine systematische Auswahl von 361 Stücken geboten, welche die Arten und Abarten der Kaiserurkunden in den verschiedenen Perioden, ihre allmählige Fortbildung, die Entstehung der einzelnen Phasen der Urkunden, die jeweiligen Normen der Kanzlei und auch Beispiele für Abweichung von ihnen veranschaulicht. Die Auswahl für die Karolinger und Ottonen traf Sickel mit seiner souveränen Beherrschung des Stoffes noch selbst und lieferte wichtige Beiträge für die Spezialdiplomatik der spätern Karolinger. Für die andern Zeiträume übertrug er sie an geeignete Fachmänner. Da die italienischen Archive für dieses Werk nicht benutzt werden konnten, regte er bei der römischen historischen Gesellschaft ein ähnliches Unternehmen zur Ergänzung an und steuerte zu dem einzigen erschienenen Heft die Tafeln für die italienischen Karolinger bei.

Schliesslich muss in diesem Zusammenhang noch der Monographie gedacht werden, welche Sickel 1883 der in manchen Beziehungen bedeutungsvollsten Urkunde Ottos I., dem lang mit geheimnisvollem Dunkel umhüllten Privileg für die römische Kirche widmete. Er kam zum Ergebnis, dass wir es nicht mit einem in der Kanzlei geschriebenen Original sondern mit einer Prunk-Ausfertigung zu tun haben, welche aber gleichzeitig und amtlichen Ursprunges, echt und durchaus glaubwürdig ist; ja Bresslau machte jüngst sehr wahrscheinlich, dass sie auch echtes Siegel trug.

Diese Schrift war eine der ersten Früchte der Eröffnung des vatikanischen Archives durch Papst Leo XIII. Ihr Ergebnis trug wesent

lich dazu bei, die Bedenken über diese Liberalität des Papstes zu zerstreuen. Diese Untersuchung führte auch zur Gründung des Istituto austriaco di studii storici in Rom und damit zu einer vollständigen Änderung in Sickels Wirksamkeit und Tätigkeit.

Das österr. historische Institut in Rom erstand im Herbst 1881 infolge eines Berichtes, welchen Sickel dem Kaiser über seine vatikanischen Forschungen erstattete; S. M. gewährte auch die Mittel zunächst aus der a. h. Privatschatulle. Sickel plante es als eine Tochter der Wiener Austalt, in enger Arbeitsgemeinsamkeit mit dieser und mit seiner Schule zur Ausbeutung der Schätze des vatikanischen Archives. Er gedachte die Oberleitung so zu führen, dass nur ab und zu seine persönliche Anwesenheit in Rom nötig sein würde, die laufenden Geschäfte sollte ein Stellvertreter versehen. Als sich aber herausstellte, dass auf diese Weise die notwendige Stätigkeit weder für die wissenschaftlichen Arbeiten noch in anderer Hinsicht zu erreichen sei, entschloss er sich zu der Lösung der Frage, dass er seine hochangesehene Stellung am Institut in Wien nach 35jähriger Tätigkeit verliess, 1891 als Professor in Ruhestand trat und dauernd zur Leitung des Istituto nach Rom übersiedelte. Dieser Entschluss erregte vielfach Verwunderung. Meines Erachtens entsprang er aus kräftigem, noch jugendlichem Drang neues zu schaffen und zu organisieren, nicht wenig wohl auch aus seiner starken Vorliebe für archivalisches Forschen.

Von Jugend an eifriger Archivarbeiter besass er lebhaftes, fachkundiges Interesse für das Archivwesen. Als Minister Giskra 1869 eine Enquete zur Besserung dieses in Österreich ganz verwahrlosten Verwaltungszweiges einberief, legte Sickel einen grosszügigen Entwurf zu einer einheitlichen Organisation der staatlichen Archive vor, welcher freilich in seiner Gänze nie zur Ausführung kam, nur einzelne wichtige Bestimmungen, wie über die Vorbildung der Archivare, fanden allmählig Eingang.

Seit Errichtung des römischen Institutes ging nun sein Augenmerk darauf, in den päpstlichen Archiven für die Benutzer alle jene Erleichterungen zu erzielen, welche mit den allgemeinen Normen guter Archivverwaltung verträglich waren. Und er hatte schon bei seiner Anwesenheit 1885/6 schöne Erfolge erzielt. Das reizte ihn zum Ausbau. Seine kräftig ausgeprägte Persönlichkeit imponierte auch in Rom in allen Kreisen, welche mit ihm in Berührung kamen. Auch der Papst bewies ihm, dem Protestanten, wiederholt seine Gunst. Man nannte Sickel wohl den wissenschftlichen Botschafter Österreichs. Jedenfalls stand das Istituto unter seiner Leitung hochangesehen da.

« PrethodnaNastavi »