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gerichtsbarkeit durch die weltlichen Grundherren in Niederöstereich tatsächlich nichts Bestimmtes wissen. Sollten denn, wenn diese Verleihungen seitens des Landesherrn seit dem 12. Jahrhundert im grossen Stile" eingesetzt hätten, wie Osswald meint, alle darüber ausgefertigten Urkunden gerade hier verloren gegangen sein, während doch bei den geistlichen Grundherren jene so wertvollen Immunitätsbriefe sorgfältigst bis auf unsere Tage aufbewahrt wurden? Mit anderen Worten: Eben dieser Tatbestand der urkundlichen Überlieferung, der gewiss nicht zufällig so geartet ist, legt die Annahme nahe, dass jene Rechte auf andere Weise, nicht durch landesfürstliche Privilegierung, erlangt worden sind.

Luschin hatte sich, wie bereits bemerkt, vorsichtiger ausgedrückt. Er bezeichnete nämlich das Dorfgericht als jenen Teil der öffentlichen Gerichtsbarkeit, welcher im Wege des Gewohnheitsrechtes und der Exemtionsprivilegien dem Landrichter entzogen und dem Immunitätsherrn zur Ausübung übertragen wurde 1). Er hielt also neben den Exemtionsprivilegien noch eine andere Erwerbsart für möglich, auf dem Wege des Gewohnheitsrechtes, d. h. also die tatsächliche Übung dieser Befugnisse.

Und eben in diesem Sinne hat Luschin auch die bekannte Stelle des österreichischen Landrechtes (Art. 46) interpretiert 2), nach welcher den Gütern der oberen Standesklassen (Grafen, Freien und Ministerialen) die Exemtion vom Landrichter ganz allgemein zuerkannt erscheint. Im Wege des Herkommens sei dieses Recht zustande gekommen. Man sieht, Luschin wurde sich bewusst, daß für eine andere Annahme die Quellen mangelten...

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Nun aber die Dorfgerichtsbarkeit. Sie ist ähnlich wie diese Dachtraufengerichtsbarkeit des Adels auch Niedergerichtsbarkeit innerhalb eines vom Landgericht eximierten Gebietes (Dorfgasse, bezw. Dorfflur). Wie ist diese zustande gekommen? Eine Reihe von Urkunden lässt uns da Einblick gewinnen. Osswald führt als älteste Erwähnung von Dorfgerichtsbarkeit in Niederösterreich eine Urkunde Herzog Leopolds V. für das Stift Klosterneuburg aus dem Jahre 1179 au. Er hat sie freilich recht oberflächlich behandelt. Bei etwas gründlicherer Forschung hätte er wohl weniger sicher geurteilt. Osswald hat sich nämlich um die Frage der Überlieferung gar nicht gekümmert. Er urteilt bloss nach einem Zitat bei Brunner 3) unter Verweis darauf, daß das Stück sich im Urkunden

1) A. a. O. S. 159/60.

2) Ebda. 180.

3) Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger Sitz. Ber. der Wiener Akad. 47, 348.

buche des Stiftes nicht finde 1). Zudem hat er auch die wertvollen Zusammenstellungen, die G. Winter zur Sache geboten hat 2), ganz übersehen. Nun, das Stück ist uns urkundlich überhaupt gar nicht überliefert, sondern es liegt bloss eine Traditionsnotiz vor, wie aus dem Abdruck des Traditionsbuches deutlich zu ersehen ist 3). Das mindert allein schon die Zuverlässigkeit des Textes. Zudem hatte schon Brunner Bedenken geäussert. Der Wortlaut ist ganz ungewöhnlich: dux... indulsit ęcclesię omnem sui iuris iusticiam, seculare videlicet et forense iudicium in tribus villis... Herr Dr. Oskar Freiherr von Mitis, der eine kritische Neuausgabe der Babenberger Urkunden vorbereitet, teilt mir mit, dass man in der Verwertung der Klosterneuburger Traditionsnotizen äusserst vorsichtig sein müsse, da dort, wo mehrere Aufzeichnungen über eine Sache erhalten sind, „Belege für höchst einseitige Darstellung durch den Empfänger" nachzuweisen seien.

Aber ganz abgesehen von all diesen Bedenken: Osswald hat auch das Rechtsverhältnis des Herzoges zu diesen Dörfern gar nicht untersucht. Die Babenberger waren da zugleich Grundherren; schon früher hatte Leopold IV. Güter daselbst an das Stift geschenkt 4) und außerdem waren sie Erbvögte desselben 5) Es kann sich also in diesem Falle sehr wohl auch um Rechte handeln, die Leopold als Grundherrn oder Erbvogte, nicht aber als Landesfürsten an jenen Dörfern zustanden 6). Mit anderen Worten: dieses Stück ist ganz und gar nicht geeignet, etwas für die Entstehung der Dorfgerichtsbarkeit durch landesfürstliche Privilegierung zu beweisen.

Auf die zweitälteste, Osswald bekannt gewordene Urkunde, habe ich seinerzeit hingewiesen. Derselbe Herzog schenkt 1187 dem Kloster Heiligen-Kreuz,omne ius et debitum, quod me contingebat in loco... Minkendorf, quem predicti fratres . . . de grangia in villam redegerunt“. Ich habe diese Urkunde als „ein Immunitätsprivileg seitens des Vogtes bezeichnet, dem bisher die Gerichtsbarkeit über die Konversen auf jenem geistlichen Gute zustand" 7). Osswald bestreitet meine Interpretation und ruft pathetisch aus: „Ich verstehe nicht, wie Dopsch hier von Vogtei sprechen kann. Wo steht in der Urkunde, daß der Landes

1) A. a. O. S. 34.

2) Österr. Weisthümer 8, 66 n.

3) Font. rer. Austr. II. 4, 117 Nr. 540.

4) Vgl. G. Winter a. a. O. 8, 67 n.

5) Vgl. z. B. Font II. 4, 38 Nr. 186.

6) Sollte vielleicht das hier absolut unmögliche forense ein Schreibefehler für foitense sein? Paleographisch läge das nahe.

7) Österr. Urbare I. 1. Einl. p. CXXXIII.

fürst als Vogt dieses Privileg gegeben habe? Der Landesfürst verzichtet auf seine Rechte und Einkünfte im Orte M. . . . 1).

Sachte, Sachte! Auch hier scheint Osswald nur oberflächlich orientiert zu sein. Das predium Minkendorf hatte c. 1150 der Babenberger Herzog Heinrich von Bayern (Jasomirgott) und dessen Bruder Konrad, Bischof von Passau, ad construendas officinas Sancte Crucis zunächst in die Hand Adelberts, Vogts von Perg, geschenkt, der es dann dem Kloster tradierte 2). Es befand sich also schon seit längerer Zeit im Besitze des Klosters und war wie das übrige Gut desselben auch der Exemtion vom Landgerichte bereits teilhaftig. Es kann sich also hier weder um eine Schenkung von Einkünften noch um die Exemtion vom Landgericht handeln. Dass wir an die Auflassung privater Rechte dabei zu denken haben, geht wohl deutlich aus dem Eingang der Urkunde hervor, wo der Aussteller ausdrücklich die Zustimmung nicht nur seiner Gemahlin, sondern auch des Bruders hervorhebt 3). Es dürften sonach unter dem omne ius et debitum Leopolds Vogteirechte zu verstehen sein. Leopold war tatsächlich Erbvogt des Klosters 4). Verzichtete Leopold auf Vogteirechte, dann wird auch verständlich, warum der Zustimmung seiner Gemahlin und seines Bruders besonders gedacht wird. Es handelte sich eben um eine Erbvogtei des Babenberger Hauses, nicht um ein dem Landesfürsten als solchem zustehendes Recht.

Der Rechtsinhalt dieser Urkunde ist aber damit noch nicht erschöpft. Nach der Auflassung seiner privaten Vogteirechte will Leopold zugleich dem Kloster Sicherung vor widerrechtlicher Anmassung von Gerichtsrechten in dem neuen Dorfe gewähren und deshalb spricht er zugleich die Entvogtung aus. Der Kontext der Urkunde weist durchaus das typische Formular solcher Entvogtungsprivilegien auf. Das kann Leopold freilich nur kraft seiner Eigenschaft als Landesfürst verfügen. Aber hat denn Osswald, der auch daran Anstoß nimmt, dass ich Leopold hier in verschiedenen Eigenschaften handelnd auftreten. lasse, noch niemals beobachten können, dass solches gerade in laudesfürstlichen Urkunden häufig der Fall ist? Sollte Leopold deshalb etwa zwei Urkunden ausstellen, die eine als Privatmann, die andere als Landesfürst? Ich glaube, meine seinerzeit gegebene Interpretation erweist sich bei näherem Zusehen als stichhältig. Vielleicht wird jetzt

1) A. a. O. S. 35 n. 1.

2) Font. II. 11, 6.

3) Ebda. 17: cum consilio et assensu dilecti fratris mei Heinrici et dilecte coniugis mee Helene donavi. . . .

4) Vgl. die Urk. desselben vom J. 1178 Ebda, S. 11.

auch Osswald verstehen, dass in dieser Urkunde von einer Verleihung der Niedergerichtsbarkeit an das Kloster nicht die Rede sein kann. Die besass es ja längst kraft seiner Immunitätsrechte 1).

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Als dritten und letzten (!) Beleg für seine Auffassung führt Osswald noch eine Urkunde K. Rudolfs für Passau vom Jahre 1277 an. Sie stelle jenen andern Typus dar, bei dem es sich zwar nicht um die Übertragung der Niedergerichtsbarkeit an die Eigentümer neu entstandener Dörfer handle, wohl aber um Verleihung oder Verschenkung ganzer Dörfer mit der Gerichtsbarkeit seitens des Laudesfürsten 2). Also immerhin auch da Übertragung des Dorfgerichtes durch die öffentliche Gewalt. Das Dorf, um das es sich da handelt Gaisruck war seit Alters Lehensgut der österreichischen Landesfürsten vom Bistume Passau. Dementsprechend erscheint es, ohne dass freilich dieses seines Charakters gedacht würde, in den landesfürstlichen Urbaren verzeichnet3). Im Jahre 1277, zur Zeit, als kein besonderer Landesherr existierte, sondern der König Österreich in eigener Verwaltung hielt, wurde neben anderen Lehensstücken auch dieses Gut aus seinem bisherigen Rechtsverhältnis ausgeschieden und dem Passauer zu Dominicale überwiesen. Das Dorf wird mit allem Zugehör, darunter auch dem Dorfgericht geschenkt: ac aliis quibuscunque, que ibidem ad terre principem pertinebant 1). Gerade das Gegenteil also von dem, was Osswald damit beweisen wollte, ergibt sich daraus. Der Landesfürst kommt hier durchaus als Grundherr von Gaisruck in Betracht. Alles, was er dort besass, wird Passau geschenkt. Das Dorfgericht wird in den lf. Urbaren gar nicht, in der Urkunde aber lediglich bei Aufzählung der zu diesem lf. Kammergute gehörigen einzelnen Pertinenzen erwähnt. Dem Landesherrn eignete nach dem klaren Wortlaut dieser Urkunde das Dorfgericht eben hier, an dem bestimmten Orte (ibidem), aber nicht überall. Über das Zustandekommen des Dorfgerichtes in Gaisruck wissen wir gar nichts; möglicherweise hat es Passau schon besessen, bevor das Dorf an die Babenberger zu Lehen gegeben wurde. Sicherlich hatte das Bistum damals schon Immunitätsrechte dort gehabt.

1) Man beachte auch den Wortlaut der Urkunde, wo es im Anschluss an die oben wiedergegebene Stelle weiter heisst: sed talem pacem idem locus et tranquillitatem obtineat, qualem prius habebat, quando conversi ibi habi

tabant.

2) A. a. O. S. 36.

3) Vgl. Österr. Urbare I. 1, 18 Nr. 43.

4) v. Schwind-Dopsch a. a. O. S. 118.

Wir sehen rückschauend: Tatsächlich vermag Osswald keinen einzigen Beleg dafür anzuführen, dass das Dorfgericht durch Übertragung seitens des Landesherrn entstanden sei. Der Landesherr tritt in all' den angeführten Fällen, soweit es sich um das Dorfgericht handelt, vielmehr lediglich als Inhaber privater Rechte auf, zu welchen auch das Dorfgericht gehört (Grundherr, bezw. Erbvogt). Für den öffentlich-rechtlichen Ursprung desselben besagen diese Urkunden in Wirklichkeit nichts.

Ganz unzweifelhaft ist der Ursprung des Dorfgerichtes in jenen Fällen zu fassen, wo das Dorf auf einem einheitlichen Grundeigentum erwachsen ist. Für diese gibt Osswald selbst zu, dass seine Annahmen da nicht zutreffen. Da hatte der Herr neben der Grund- auch von jeher die Dorfgerichtsbarkeit" 1).

Somit ist in einer ganzen Anzahl von Dörfern die Dorfgerichtsbarkeit jedenfalls ohne Verleihung oder Übertragung durch die öffentliche Gewalt tatsächlich in Ausdehnung der grundherrlichen Rechte entstanden. Osswald geht darüber ziemlich rasch hinweg.

Der zweite häufigere Fall ist der, dass in dem Dorfe verschiedene Herren begütert waren. Osswald stellt sich auch da die Sachlage doch wieder etwas zu einfach vor. Da sei die Gerichtsbarkeit auf der Dorfgasse das Entscheidende gewesen. Diejenige von den verschiedenen Herrschaften im Dorfe gelangte zur Dorfobrigkeit, die die Gerichtsbarkeit auf der Dorfgasse erworben hatte 2).

Wir sind über das Gericht auf der Dorfgasse in Niederösterreich noch recht ungenügend unterrichtet 3). Jedenfalls hat dasselbe für die Entstehung einer einheitlichen Dorfobrigkeit eine wichtige Bedeutung gehabt. Auf Strassen und Plätzen, soweit sie öffentliche waren, hatten ja die Grundherrn als solche von vornherein keine Gerichtsbarkeit. Ihr Schutz, ebenso wie die Judikatur über die hier begangenen Verbrechen und Vergehen oblag der öffentlichen Gewalt, dem Landesherrn, bezw. den von ihm bestellten Landrichtern.

Osswald nimmt nun an, dass der Landesfürst diese Gerichtsbarkeit seinem Landrichter entzogen und einer bestimmten Herrschaft im Dorfe übertragen habe, die damit zur Dorfobrigkeit wurde 4).

Zur Unterstützung dieser Annahme wird nur eine Urkunde vorgebracht. Aber was ist aus ihr tatsächlich zu entnehmen? Herzog

1) A. a. O. S. 41.

2) A. a. O. S. 39,

3) Vgl. Ebda. n. 1.

4) Ebda. S. 38.

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