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bildeten, wird der kaum mehr leugnen können, welcher an dem vorgebrachten Urkundenmaterial nicht voreingenommen vorbeigehen will.

Osswald hat sich, scheint es, vor allem auch den wirtschaftsgeschichtlichen Prozess, der zur Entstehung dieser Dörfer in Niederösterreich führte, nicht recht klar gemacht. Die Dorfgründungen hier sind relativ jungen Ursprunges. Ihre grosse Masse ist im 12. und noch mehr im 13. Jahrhundert erst entstanden. Mindestens versagt das Quellenmaterial, aus dem gesicherte Schlussfolgerungen sich ableiten liessen, für die ältere Zeit vollständig. Damit werden wir aber bereits in eine Periode wesentlich grundherrlichen Charakters geführt. Und die Untersuchungen der Flurverfassung, welche Meitzen angestellt hat 1), bestätigen diese Auffassung. Die Dorfanlager Niederösterreichs weisen durchaus einen grundherrlichen Typus auf, sei es, dass es sich um von weltlichen Grundherren angelegte Waldhufenkolonien (Viertel ober dem Manhartsberg), oder um die grossen planmässigen Gewanndörfer des Marchfeldes und Wiener Beckens handelt. Die neueste Spezialforschung hat diese Ergebnisse bestätigt und gefestigt 2). Es ist nach der uns urkundlich bezeugten Geschichte der Besiedelung auch kaum anders zu erwarten. Als Träger derselben sind die großen geistlichen und auch weltlichen Grundherrschaften zu betrachten, die von Bayern aus sie unternommen haben $). Geschlossene Fronhofsgebiete und einzelne Meierhöfe wurden im 12. und 13. Jahrhundert, wie noch an Urkunden zu verfolgen ist, zu Dörfern umgewandelt. Das hängt, wie ich früher bereits ausgeführt habe 4), mit den großen wirtschaftlichen Umwälzungen jener Zeiten zusammen, dem Rückgang der Eigenwirtschaft (Salland) und der Spekulation auf bessere Erträge. Zunächst wurden die Höfe zerschlagen, in Zinsgüter aufgelöst und an Meier (villici) verpachtet. Dann wird dieses Zeit- und Erbpachtsystem immer mehr zur Regel.

Beispiele genossenschaftlicher freier Dorfgründung, unabhängiger Lokatoren sind hier bis jetzt nicht nachgewiesen worden. Wir haben eben ein jüngeres Kolonisationsgebiet vor uns, kein altes Volksland wie im deutschen Westen. Kirche und Adel sind für diesen Prozess massgebend geworden, d. h. zwei grundherrliche Gewalten, die, ich

1) Siedelung und Agrarwesen der West- und Ostgermanen 2, 387. 2) Vgl. besonders F. Heilsberg, Gesch. der Kolonisation des Waldviertels im Jb. d. Vereines f. Landeskunde von Nied. österr. (1907) bes. S. 55 ff. sowie A. Grund, die Veränderungen der Topographie im Wiener Walde und Wiener Becken S. 62 ff.

3) Vgl. M. Vansca, Gesch. Nieder- und Oberösterreichs I, 205 ff.
4) Österr. Urbare I. 1, Einl. p. CXXVII ff.

möchte sagen, nahezu von allem Anfang an exemt waren. Daher sind auch keine Zeugnisse urkundlicher Art darüber nachweisbar, dass Dorfgerichtsbarkeit von der öffentlichen Gewalt (Landesfürsten) wäre übertragen worden. Mit der Auflösung des geschlossenen Villikationsbetriebes und der Begründung von offenen Dörfern vermochten mindestens dort, wo freie Zeitleihen üblich waren, auch Holden fremder Grundherrschaften sich anzusiedeln. Durch Kauf-, Tausch- und Erbgang mochten vielfach verschiedene Grundherren in einem Dorfe Begüterung erwerben. So wurden zum Teil neue Verhältnisse geschaffen, unsomehr, als mit dem Fortschritt und inneren Ausbau der Kolonisation die Dörfer in Niederösterreich nicht selten einen sehr grossen Umfang gewannen 1). Ich hatte schon früher darauf hingewiesen, dass es sich da um neue Rechte handelte, welche mit der Umgestaltung in der Wirschaftsverfassung in innerem Zusammenhang stehen 2). Auch Osswald nimmt an, dass die Dorfgerichtsbarkeit als eine ganz neue, wenn auch an bestehende Herrschaftsgewalten anknüpfende Erscheinung" auftrete 3).

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Es kommt nun aber darauf an, ganz wie wir uns diese Anknüpfung an bestehende Herrschaftsgewalten zu denken haben. Osswald meint, dass dies die ursprünglich autonome Dorfgemeinde gewesen sei. Indem er die korporativrechtliche Enstehung dieser ganz allgemein, also auch für Österreich als selbstverständlich voraussetzt, akzeptiert er hier die Ansicht Werunsky's) von dem Ursprung der Dorfgerichte. Allein während jener dann annimmt, dass die freiwillige Gerichtsbarkeit derselben später an die Grundgerichte verloren gegangen sei, negiert er dies mit der Behauptung, nicht an die Grundgerichte, sondern an den einen Grundbesitzer, der die Dorfobrigkeit war, an den Dorfherrn sei dieser Übergang erfolgt, der die Niedergerichtsbarkeit auf der Dorfgasse vom Landesfürsten übertragen bekommen hatte" 5).

Osswald hat leider verabsäumt, uns auch nur einen Beleg dafür anzugeben, dass es in Niederösterreich je solche alte Gemeinden" mit Autonomie gegeben habe. Woher weiss er das? Wir finden statt. jeden Belegs einen Verweis auf Schröder's Deutsche Rechtsgeschichte, Gierke's Genossenschaftsrecht und sonstige Literatur), die sich auf Quellen stützt, welche einer ganz anderen Zeit oder anderen Terri

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1) Österr. Urbare I. 1, Einl. p. CII.

2) Ebda. Einl. p. CXXXIV.

3) A. a. O. S. 41.

4) Österr. Reichs- u. Rechtsgesch. S. 67.

5) A. a. O. S. 44.

6) Ebda. S. 32 n. 2.

torien zugehören. Osswald hat sich, wie es scheint, den grundlegenden Unterschied der jüngeren Entwicklung hier in Niederösterreich gegenüber der dort geschilderten gar nicht klar gemacht. Und doch muss er sich gelegentlich an anderer Stelle selbst gestehen: „Der grösste Teil des Grundbesitzes war in den Händen des hohen Adels 1) und dann wieder: Ein einziger Fall ist mir bekannt, wo in Niederösterreich ein privilegiertes Dorfgericht nicht ein Herr aus dem Hochadel, sondern die Gemeinde selbst besitzt". Dieser einzige Fall aber können wir die Sache erledigend gleich hinzusetzen, stellt eine auf jüngerer Privilegierung des Landesherrn basierende Ausnahme dar, die eher das Gegenteil beweist 2).

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Tatsächlich kommt in der Zeit, als Dorfgerichte hier entstanden, Ende des 12. und besonders im 13. Jahrhundert, nur der geistliche und weltliche Adel als Grundbesitzer in Niederösterreich in Betracht einschliesslich der Ministerialen. Die Ritter waren damals noch zu unbedeutend und verdankten ihre wirtschaftliche Stellung ihren Lehensherren, der bürgerliche Grundbesitz auf dem flachen Laude aber kam jetzt noch kaum in Betracht, da ihm vor allen grössere Ausdehnung und die Geschlossenheit abging. Freie Bauern hat es sicher auch in Österreich gegeben, und zwar sowohl auf den Herrschaften der geistlichen wie weltlichen Grundherrn. Allein von autonomen Dorfgemeinden, die unabhängig von jedem Grundherrn gewesen wären, fehlt bis jetzt alle Spur.

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Und der zweite Kardinalfehler dieser Konstruktion Osswalds. Gab es denn ursprünglich überall schon einen Dorfherrn, der die Niedergerichtsbarkeit auf der Dorfgasse vom Landesfürsten übertragen bekommen hatte", so dass an ihn jene Rechte der angeblich autonomen Gemeinden übergehen konnten? Man sieht, dieser Ausweg ist absolut nicht gangbar. Eine Anknüpfung, um mich dieses Ausdruckes von Osswald zu bedienen, der neuen Dorfgerichte an bestehende Herrschaftsgewalten ist jedenfalls anzunehmen. Die bestehenden Herrschaftsgewalten aber können der ganzen Sachlage und den direkten urkundlichen Zeugnissen nach keine anderen als die Grundherrschaften gewesen sein. Und dafür spricht noch eine weitere, den Übergang selbst vielleicht sehr deutlich charakterisierende Tatsache. In den Urkunden, aus denen wir Nachricht über das älteste Auftreten

1) Ebda. S. 19.

2) Ebda. S. 40 n. 4 vgl. dazu Luschin, Geschichte d. älteren Gerichtswesens S. 139 f.

des Ausdruckes Dorfgericht gewinnen, wird es lateinisch als iudicium villicarium, oder villicani bezeichnet 1).

Als Kennzeichen und Merkmal, nach dem es bestimmt wird, tritt der spezifisch grundherrliche Beamte, villicus, auf. Sollte das ganz zufällig sein und nur in der Tatsache seine Begründung finden, dass eben der villicus mit der Verwaltung des Dorfgerichtes betraut wurde? Ich meine, der grundherrschaftliche Charakter kommt eben darin so recht zum Ausdruck. Das Dorfgericht wuchs aus dem grundherrlichen Gerichte hervor.

II.

Wir sahen: Dorfgericht tritt in den ältesten Urkunden, welche es erwähnen, als regelmässige Pertinenz des freien Eigens auf, nicht nur des Hochadels, sondern auch des Ritterstandes. Ganz ebenso aber und stets im Zusammenhange damit wird auch Vogtei erwähnt 2). Auch sie erscheint im Inhalte dieses Eigens selbst gelegen, was gleichfalls unbeachtet geblieben ist. Das kann natürlich nicht Kirchen-, oder geistliche Vogtei bedeuten, da es sich um das Eigen weltlicher Herren handelte. Osswald hat nun auch die Vogteiobrigkeit in den Kreis seiner Darstellung gezogen. Er sucht darzulegen 3), dass die Vogtei ursprünglich in Niederösterreich bloss Schirmvogtei gewesen sei und keine gerichtlichen Befugnisse in sich geschlossen habe. Erst allmählich hätten sich die Vögte zu Unrecht und gewaltsam auch richterliche Befugnisse angemasst, bis dann das Landesfürstentum. durch den bekannten Prozess der Entvogtung Befreiung von diesem Druck bewirkte.

Ich fürchte, dass Osswald sich auch hier wiederum durch die jüngeren Quellen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die er zunächst ins Auge fasste, hat vorweg einnehmen lassen). Es ist ja bekannt, dass nach diesen mit der Vogtei an sich niemals Gerichtsbarkeit verbunden sein sollte. Auf diesem Standpunkt stehen z. B. der früher schon erwähnte Bericht von denen Jurisdiktionen" von 1584/5, der bei Suttinger gedruckt ist, sowie der Traktatus de juribus incorporabilibus von 1679. S. Adler hat auch darüber eingehend gehandelt 5).

1) Vgl. Font. rer. Austr. II, 3, 306 (1292): iudicium villicarium, dorfgericht vulgariter nuncupatum u. 423 (1270).

2) Siehe oben S. 606 n. 1.

3) A. a. O. S. 79 ff.

4) Ebda, S. 68 ff.

5) A. a. O. S. 140 ff.

Es wird jedenfalls noch sehr gründlicher Untersuchungen über die älteren Urkunden Niederösterreichs bedürfen, um zu einem abschliessenden und allseitig zutreffenden Urteil über die kirchliche Vogtei in diesem Lande zu gelangen. Dabei wird man sich auch stets den Charakter der Überlieferung vor Augen halten müssen, die sicherlich vielfach recht einseitig geartet ist und wohl nicht selten bloss jene Auffassung wiedergibt, welche man eben auf Seite der Bevogteten wünschte oder anstrebte. Soviel aber kann schon heute gesagt werden: Mit der Vogtei war häufig auch in der älteren Zeit tatsächlich Gerichtsbarkeit verbunden. Man beachte doch nur das Immunitätsformular der Entvogtungsprivilegien. Wenn es da z. B. 1195 für Göttweih heisst: 1) ut nullus unquam hominum sub nomine advocati aut iudex vel preco de nostra permissione vel alicuius officii vel iudicii occasione eisdem fratribus iniuriam inferat vel offendere presumat ... Wird da nicht bei dieser Sicherung wider alles Unrecht, das dem Kloster durch Unberechtigte zugefügt werden könnte, doch als normale Zuständigkeit eines rechtmässigen Vogtes die Abhaltung des Gerichtes vorausgesetzt? Wie sollte auch jemand sub nomine advocati Gelegenheit zur Abhaltung eines Gerichtes finden, wenn mit der Vogtei Gerichtsbarkeit überhaupt niemals verbunden gewesen wäre?

Doch nun zur jüngeren Entwicklung. Auch im späteren Mittelalter hat nach Osswald die grosse Masse der niederösterreichischen Vögte keine Gerichtsgewalt gehabt 2). Die Erscheinung aber, dass damals mitunter Vogt und Gerichtsherr dieselbe Person ist, sei aus der Entwicklung der Gerichtsherrschaften zu erklären 3). Osswald hatte da eine wichtige Beobachtung gemacht, indem ihm nämlich klar wurde, dass Vogtei und Dorfherrschaft nicht selten zusammenfallen). Wie nun in den meisten Dörfern der eine Grundherr, der die Dorfgerichtsbarkeit erlangt hatte, sich zum Oberherrn des gesamten Dorfes emporgeschwungen . . . so beanspruchte er auch, in seinem Dorfe als alleiniger Vogt anerkannt zu werden. Wie er die Beseitigung von Rechten fremder Herschaften erreicht hatte", so sei ihm auch dies geglückt 5).

Ausgezeichnet! Ich stimme soweit ganz mit Osswald überein.. Aber er hat vergessen, die Erklärung für diese Tatsachen zu geben.

1) Font. II. 51, 75.

2) A. a. O. S. 78.

3) Ebda. S. 88.

4) Ebda. S. 78, § 2.

5) Ebda. S. 89.

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