Kleine Mitteilungen. Herzog Leopold III. von Österreich und das grosse abendländische Schisma. Das Aktenstück, welches ich im folgenden aus dem Cod. lat. 1472 der Pariser Nationalbibliothek fol. 128-130 veröffentliche, ist geeignet, die Haltung des Herzogs Leopold III. von Österreich im grossen abendländischen Schisma über unsere bisherigen Kenntnisse hinaus aufzuhellen. Arbeiten, die wir bereits besitzen, von Fr. Kurz, Österreich unter Herzog Albrecht III., Linz 1827, Bd. I, von N. Valois, La France et le grand schisme d' Occident, Paris 1896, I, S. 286 ff., S. Stein herz, Beiträge zur älteren Geschichte des Erzbistums Salzburg, I. Das Provinzialkonzil von 1389 (Mitteil, der Gesellsch, f. Salzburger Landeskunde 39 (1899), dienen vortrefflich dazu, das Aktenstück in das rechte Licht zu rücken und dasselbe in den rechten Rahmen der Ereignisse, in die es gehört, zu setzen. Der Kodex 1472 (einst Colbertinus 814), ein Papierband mit 163 beschriebenen Blättern, ist ein Sammelband, enthält von mehreren Händen ca. 13 Stücke, die inhaltlich der ersten Zeit des Schismas angehören. Der Kodex stammt ohne Zweifel noch aus dem 14. Jahrhundert. In der Erläuterung unseres Aktenstückes schlage ich der Einfachheit halber nicht den analytischen, sondern den synthetischen Weg ein. Es ist bekannt, dass König Karl V. von Frankreich die Fäden seiner Propaganda für Klemens VII., den Gegner Urbaus VI., in Deutschland unter anderen auch bei dem Herzog Leopold III. von Österreich anzuknüpfen suchte, und, wie wir wissen, nicht vergebens, während derartige Versuche von anderen zurückgewiesen wurden "). 1) Valois, La France et le grand schisme d'Occident, 1, S. 268–72. Leopold III, hatte seine Pläne 1) und er agitierte in Deutschland für Klemens VII. Da jedoch das Reich grösstenteils, mit dem König Wenzel, an Urban VI. energisch festhielt, so musste der Herzog näheren Anschluss an die klementistisch gesinnten Mächte suchen und durch ein Bündnis mit ihnen sich stärken und schützen. Er trat deswegen Ende 1379 durch eine Gesandtschaft mit Klemens VII, selbst, der schon nach Avignon zurückgekommen war, und mit dem französischen Hof in Verbindung 2). Als Gesandte des Herzogs werden genannt: Rudolf von Höwen, Dom-Thesaurar in Strassburg, Ritter Heinrich Gessler und Ritter Heinrich von Randegg. In Avignon liess Leopold III. seine Bereitwilligkeit erklären, die Sache Klemens VII. sowohl in seinen Territorien zu verfechten und zur Geltung zu bringen, als auch sonst dafür zu agitieren 3). Selbstverständlich hatte die Gesandtschaft, bei dieser Gelegenheit, wo sie an der Kurie von Avignon erschien, im Namen ihres Herren, der im Begriffe war, Klemens VII. als den rechten Papst, als das Oberhaupt seiner Landeskirchen anzuerkennen, allerhand Wünsche vorzutragen. Eine solche Petition ist uns bekannt aus dem Schreiben Klemens VII, vom 14. Februar 1380 an den Bischof von Strassburg 4). Der Herzog beklagt sich darin über den Durchbruch und die Störung der Gerichtsordnung durch päpstliche Briefe. mittels deren Kreuzfahrer ihre Klagen gegen herzogliche Untertanen zu deren Schaden vor dem geistlichen Richter in entfernten Orten austragen wollen, und verlangt Remedur. Mit dem Landesherrn Herzog Leopold waren aber auch viele seiner Untertanen in das Lager Klemens' VII. gekommen, die ihrerseits mit Suppliken bei der Kurie sich einstellten. Götz Müller überreicht mit mehreren Hof beamten Leopolds für die Verwandten einen Rotulus, den Klemens VII. am 13. Dezember 1378 bewilligte5). Nähere Kenntnis haben wir von der Supplik des Kanzlers des Herzogs, des Bischofs von Brixen, Friedrich von Erdingen: er verlangte das Recht, die Besetzung von 12 vakant werdenden Benefizien mit oder ohne Seelsorge sich selbst zu reservieren 6). 1) Schatz-Adelgott, Stellung Leopolds III. (1365—1386) von Österreich zum grossen abendländischen Schisma, Studien und Mitteil, aus dem Benediktineru. d. Zisterzienser-Orden, XIII (1892), S. 23—53. 2) Schreiben Klemens' VII. vom 6. Febr. 1380 (Kurz, a. a. 0., Beil. 38, S. 291); Schreiben des Herzogs Ludwig von Anjou 28. Jänner 1380 (eb., Beil. 37, S. 290; vgl. Th. Lindner, Gesch. des Deutschen Reiches unter König Wenzel, I, S. 93). 3) Zit. Schreiben Klemens' VII. vom 6. Febr. 1380. In dem Masse, als die Freundschaft und die Anerkennung des mächtigen Herzogs Klemens VII. erwünscht war, musste dieser sich beeilen, diese Petitionen zu erfüllen. Er schrieb dem Herzog deshalb am 6. Februar 1380: ,Tu autem, cui quantum cum Deo poterimus, , complacere totis desideriis affectamus, in quibuscumque tuis beneplacitis ad nos fiducia indubitata recurras .1) " Diese Bemerkungen genügen, um unser Schriftstück inhaltlich zu verstehen und datieren zu können. Da die Suppliken des Herzogs Leopold und alle anderen, welche gelegentlich der Deklarationsangelegenheit bei Klemens VII. eingereicht worden waren, in die päpstliche Kanzlei kamen, 80 wurden sie in der herkömmlichen Art und Weise erledigt. Unser Schriftstück ist sonach nichts anderes als ein Aktenstück der päpstlichen Kanzlei, das zur Vorverhandlung über diese Suppliken gehört, ein Rotulus, die Bittschrift, welche dem Papste vorgelegt wurde: sie beginnt: Beatissime pater. Da das erwähnte Schreiben Klemens' VII, vom 14. Februar 1380 an den Bischof von Strassburg und das Schreiben vom 3. Februar an den Bischof von Brixen als die Erledigung dieses Rotulus sich darstellen, folgt, dass derselbe vorher an der Kurie zu Avignon zusammengestellt worden war?). Die Bittschrift ist allgemein gehalten, ohne Nennung eines singulären Supplikanten. Es ist aber nicht anzunehmen, dass aus allen Teilen Deutschlands vom gesamten Klerus Klagen über die überspannten finanziellen Forderuugen der päpstlichen Kurie und dergleichen Petitionen an der Kurie von Avignon eingelaufen seien; denn ein grosser Teil Deutschlands war ja urbanistisch gesinnt. Da aber im Rotulus sofort die Privilegien, welche dem Klerus Deutschlands gewährt werden sollen, auf vier bestinimte spezifiziert sind, für die Erzbischöfe Provision von 20 Benefizien, für die Bischöfe Provision von 12, Erlass der Spolien für 10 Jahre und Erlass der Prokurationen für die päpstlichen Legaten und Nuntien; da ferner im folgenden bestimmte Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands, deren Hinneigung zu Klemens VII. uns bekannt ist, genannt sind, welchen die vier Privilegien verliehen werden sollen, ist offenbar zu sagen, dass diese genannten Bischöfe oder einer oder der andere von ihnen um diese Privilegien bei Klemens VII. nachgesucht haben. Klemens VII. soll Gnaden bewilligen, weil durch diese seine Freigebigkeit vielleicht auch die anderen Bischöfe Deutschlands gewonnen werden können, ?) Kurz, a. a. O., Beil. 38, S. 292. 2) H. Breslau, Handbuch der Urkundenlehre, I, Leipzig 1889, S. 680 ff.; P. Kehr, Bemerkungen zu den päpstlichen Supplikenregistern des i 1. Jahrhunderts (Mitteilungen des Instituts, 8, 1887, S. 84 ft.). Dem Bischof von Speier und Erzbischof von Mainz, Adolf von Nassau, gewährte Klemens VII. schon 1378 die Vollmacht, die Provision diverser Präbenden sich zu reservieren 1). Zwei der Petitionen, deren Gewährung im vorliegenden Rotulus vorgeschlagen wird, habe ich bereits erwähnt: nämlich die Supplik des Bischofs von Brixen und diejenige des Herzogs Leopold; die sachliche und bezüglich der letzteren auch wörtliche Übereinstimmung zwischen Supplik und Erledigung?) ist in die Augen springend. Man vergleiche nur die Supplik des Herzogs aus dem Schreiben an den Bischof von Strassburg mit dem dritten Motivenbericht im Rotulus. Nach der Aufzählung der vier zu yewährenden Privilegien kommen nämlich in unserem Aktenstücke drei Motivenberichte, Begründungen, ,Justifikationen“ der Privilegien, woraus wir ersehen, dass Klemens VII. zahlreiche Klagen (von Herzog Leopold III. oder aus dem Klerus selbst) über die pekuniäre Überladung der Kirchen und des Klerus durch die Geldforderungen der Kurie und der Bischöfe, über den Missbrauch der kirchlichen Strafmittel zum Zwecke der Eiutreibung von Geldrückständen zugekommen seien. Daraus konnte Klemens entnehmen, dass, wenn er selbst und sein Legat mit dergleichen Forderungen in Deutschland hervorträte, er wenig Sympathien finden würde. Durch Versprechungen hingegen, in diesem Punkte Nachsicht zu üben, konnte er die Leute zu gewinnen hoffen, Auf die Motiren berichte folgt als dritter Teil ein modus procedendi, ein Aktionsentwurf, der für das Verständnis des Rotulus von grosser Wichtigkeit ist. Es tritt darin in den Vordergrund die Person des Herzogs Leopold III. von Österreich. Er, der mächtige Herzog, der sosehr für die Sache Klemens' VII, sich erwärmte, dem Herzog Ludwig von Anjou einen , animus cesareus“ 3) beilegte, wird als Mittelpunkt und als Spitze der klementistischen Propaganda in Deutschland gedacht. Alle Bischöfe, die genannt sind, waren innerhalb der Einflusssphäre des Herzogs, entweder als die Ordinarien in seinen Ländern oder in der Nähe derselben, der Erzbischof von Salzburg, Pilgrin I. von Puchheim *), der Erzbischof von Mainz, Adolf von Nassau, der Bischof von Brixen, Friedrich von Erdingen, der Bischof von Augsburg, Eberhard von Kirchberg, der Bischof von Chur, Johann II. von Ekingen, *) Valois, a. a. O., S. 277. 3) Zit. Schreiben vom 28. Jänner 1380: iuvandi Ecclesiam . . ipse Dei filius aperuit tantam viam, quam ingredi confisus in Domino cæsareus vester animus ordinavit, prout ex ipsorum relatu percepimus legatorum (vestre Sereni. tatis) (Kurz, Beil. 37, S. 290). “) Schatz, a. a. O., S. 35—51; Steinherz, a. a. O., S. 90; Valois, S. 273 ff. der Bischof von Basel, Johann de Vienne, der Bischof von Strassburg, Friedrich II. von Blankenheim. In Schwaben besass Herzog Leopold die Landvogtei. Das Aktionsprogramm war also folgendes. Klemens VII. schickt seine Nuntien mit den Bullen zu Herzog Leopold und bittet ihn, bei den genannten Bischöfen die Abhaltung von Synoden ihrer Diözesen zu veranlassen. Diese Synoden und Versammlungen des Klerus sollen den Zweck haben, die Schismafrage zu besprechen, die Informationen und Berichte des Herzogs anzuhören, die Gnaden und Privilegien Klemens' VII, in Empfang zu nehmen und diesen als den wahren Papst anzuerkennen. Die Leitung der Aktion wird dem Herzog Leopold übertragen. Der Herzog soll bewirken, dass Klemens' VII. Legat Wilhelm d'Aigrefeuille, der bis Metz vorgedrungen war ), mit reiem Geleite auf den Synoden erscheinen könne. Es wird ausdrücklich betont, dass der Legat nicht kommen werde, um Geld einzusacken, sondern lediglich, um über die Papstwahl Informationen zu geben ?). Weiters soll Klemens VII. und auch das Kardinalskollegium an alle und jeden der genannten Bischöfe und das Land Schwaben Briefe mitgeben, die über das gewalttätige, intolerante Vorgehen der Reichsregierung bittere Klagen führen sollen, welche den Legaten und die Kreatur Urbans VI., den Kardinal Pileus di Prata, im Reiche aufnimmt, den alten Herrn aber, den Kardinal ohne Tadel, Wilhelm von Aigrefeuille, wie einen Verbrecher verfolgt und vogelfrei erklärt. Die Supplik schliesst zusammenfassend mit der Mahnung, dass mit Gewalt nichts zu erreichen sei, dass deshalb alles, was einer Forderung oder einem Zwang gleich sehe, zu vermeiden sei. Man müsse vielmehr durch die bezeichneten Privilegien zu gewinnen suchen und dann würden die Beweise des Legaten auf guten Bodeu fallen und es wäre die beste Einführung des Legaten. So schliesst optimistisch unser Aktenstück, wie es schon die Natur der Supplik mit sich brachte. Wie steht es aber mit der Ausführung dieses Aktionsentwurfes? Hat Klemens VII. diese Supplik genehmigt? Aus den Tatsachen, die uns bisher es ist zwar nicht viel bekannt geworden sind, müssen wir schliessen: Klemens VII, hat die Supplik genehmigt und sie wurde ihrem gauzen Inhalte nach exequiert. 1) St. Baluze, Vitae papar. Avenionensium, 1, col. 1010 f.; Valois, a, a.O., S. 285. 2)... ad informandum dumtaxat, et ad hunc effectum, quod ipso audito, prout eciam auditus fuit Ravennas, clerus deliberare posset, quid fieri deberet circa presentem errorem (siehe unten). . . . quatenus intuitu veritatis et fidei catholice dictum legatum absque omni gravamine cleri Alamanie venire desiderantem audire vellent ad effectum predictum (Steinherz). |