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Die soeben vermerkte Tatsache liess noch eine andere Frage aufwerfen. Lässt sich aus dem Briefe irgend ein Anhaltspunkt für die Erkenntnis des Standes des Autors gewinnen? Ist er Kleriker? Ist er Laie? Die Lösung dieses Problems ist für eine Zeit, wo Theologie, Glaube und religiöse Übungen allbeherrschend sind, sehr heikel. Schon der Umstand jedoch, dass er Masslosigkeit und Vorurteil gegen die Kirche verabscheut, regte die Vermutung an, es möchte ein Kleriker sein, dem sich der zu scharf geführte Kampf gegen den verstorbenen Papst zu einem Kampf gegen die Kirche auszuwachsen schien.

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Bemerkbar machte sich auch bei einer genaueren Durchsicht des Briefes, dass der Autor stets der Kirche, wo er sie nennt, pietätvoll die Titel Ecclesia Dei oder sancta mater ecclesia beilegt, während z. B. Dubois und Nogaret schlankweg von der ecclesia" oder ecclesia romana sprachen, so oft es sich nicht um Schriftstücke handelte, die für die Kurie oder die Öffentlichkeit bestimmt waren. Merkwürdig ist auch, dass gerade die religiösen Gesichtspunkte, das Gebet für die Könige Frankreichs, die Gewissensskrupel u. a. hauptsächlich betont werden.

Im religiös gerichteten Mittelalter rechnet ein solches Schriftstück aus der Feder eines Laien nicht zu den Seltenheiten. Wenn man sich jedoch, da der Verfasser unbekannt ist, zur Entscheidung, ob Laie, ob Kleriker gedrängt sieht, so wird man dem Kleriker doch den Vortritt in der Autorschaft geben.

Die Persönlichkeit, die den Brief verfasst hat, trägt also ein ziemlich scharf geschnittenes Gepräge: ein Franzose, zur Zeit der Niederschrift in Frankreich, ein gemässigter Parteigänger des Königs, ein Vertrauter Philipps, vielleicht ein Kleriker.

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Soweit gelangte ich auf Grund einer umständlichen Zergliederung des Briefes; zwischen der negativen Kritik und einer positiven Lösung schien sich eine unüberbrückbare Kluft aufzutun. Da stiess ich bei der Stilvergleichung von Pierre Dubois' „De recuperatione terre sancte“ mit unserem Briefe,Realis est veritas auf folgende Notiz: Ex quibus et per quae verisimiliter opponatur scriptor praesentium, qui haec praevidit, ut tetigit in Rationibus inconvincibilibus quae scripsit Parisius, die sabbathi praecedente dominicam publicationis iniquitatis papalis, quas eadem die tradidit amico suo, domino nunc episcopo Biterensi" 1). Zwischen dem episcopus Biterensis und Dubois müssen also sehr nahe und freundschaftliche Beziehungen bestanden haben. Sollte vielleicht dieser Bischof irgendwie mit unserem Briefe in Verbindung stehen?

1) Langlois, de recuperatione terre sancte, S. 100 f.

Bischof von Béziers wurde 1305 Richard Leneveu. Über seine Person und sein Wirken sind wir nicht gerade mit allzu reichlichen Nachrichten versorgt; doch genügen sie wohl, um uns ein Bild von diesem Manue zu machen1). Als er zum ersten Male in eine breitere Öffentlichkeit trat, war er Archidiakon von Auge und Kanoniker an der Kirche zu Lisieux, zugleich „clericus regis". Im Jahre 1300 wurde er mit noch anderen Klerikern seines Ranges vom König beauftragt, ,à aller instruire le procès intenté à Bernard Saisset, évèque de Pamiers 2). Diese Angelegenheit war eine „cause célèbre jener Tage; denn hier arbeiteten sich zwei unversöhnliche Gegner entgegen: Philipp und Bonifaz. Der endgültige Austrag des Prozesses zu Ungunsten des Bischofs von Pamiers entfachte den Streit zwischen den Vertretern der beiden Gewalten zur vollen Glut. Die Wichtigkeit des Auftrages an Richard Leneveu und das Vertrauen, das er beim König genoss, ist somit ersichtlich.

Offenbar war der König von der Vollführung des anvertrauten Geschäftes vollauf befriedigt; denn sofort nach dieser enquête" ernannte Philipp ihn mit Jean Piquigni zum „réformateur en Languedoc“. Im Oktober 1301 wurden sie von diesem Schauplatz ihrer Wirksamkeit an den Hof nach Senlis gerufen, wo mehrere Konferenzen über das Gebahren der Inquisition stattfanden. Mit dem Auftrage durch entgegenkommendes, gewinnendes Auftreten die übermässigen Härten der Inquisition zu mildern, wurden sie zur Rückkehr auf ihre Posten entlassen. Ob Leneveu noch länger bei Hof verweilte, oder ob er später aus einem anderen Grunde wieder dorthin zurückkehrte, wissen wir nicht. Nur so viel ist sicher, dass Leneveu sich im Februar 1302 am Hofe Philipps befand. In dem Kampfe, der jetzt zwischen Bonifaz und Philipp einsetzte, zögerte Leneveu keinen Augenblick, sich gänzlich der Partei des Königs zu verschreiben. Unter diesen Voraussetzungen und der Annahme, dass Dubois und Leneveu durch die Bande der Freundschaft miteinander verbunden waren, erklärt es sich, das Dubois ihm die Widerlegung der gefälschten Bulle Deum time" zuschickte, offenbar mit dem Ersuchen, die Rationes inconvincibiles so hiess die Abwehrschrift - dem König zu unterbreiten; dies geschah. Weitere Nachrichten hierüber fehlen.

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Zur Entlohnung all der bisher geleisteten Dienste ernannte Philipp den Archidiakon wahrscheinlich zu Anfang 1303 zum Admini

strator der Diözese Nîmes, da sich der wirkliche Inhaber des Bistums

1) Vgl. zu dem folgenden die Abhandlung von Hauréau, Hist. Litt. XXVI. 539 ff.; besonders Bern. Guidonis, Récueil XXI, 747 ff.

2) Vgl. dazu Dupuy, S. 628.

nach Rom begeben hatte und in den Reihen der Bonifazianer gegen den französischen König kämpfte1).

Nach der Wahl Clemens V. wurde der Bischof von Béziers zum Kardinal befördert und auf seinen Bischofssitz Richard Leneveu erhoben. Nach wenigen Jahren schied Leneveu dort aus

dem Leben.

1309

Die aus dem Inhalte des Briefes gewonnenen Merkmale stimmen recht gut zu Richard Leneveu. Er ist Kleriker, Parteigänger des Königs, lebte stets in Frankreich und im Jahre 1304 in einer Stellung, wo er die Stimmung unter Klerus und Laien vorzüglich beobachten konnte. Sein zeitweiser Aufenthalt am königlichen Hofe und seine Vertrauensposten verbürgen seine Beziehungen zum Hofe, wodurch er Gelegenheit hatte, so manche Einzelheit über den Verlauf des Kampfes zu erfahren. Leneveu war und das fällt sehr gewichtig in die Wagschale zugunsten seiner Autorschaft mit Dubois befreundet und hatte Beziehung zur literarischen Wirksamkeit des bedeutendsten Publizisten auf Seiten des Königs.

Wie kommt Leneveu dazu, an Dubois eine derartige Anregung zu richten? In die Zeit seines Aufenthaltes zu Nîmes fällt die schreckgewaltige Tat von Anagni. Mit Spannung schaut jedermann in und ausser Frankreich auf den König und Nogaret; denn aus ihrem Verhalten glaubte man, das Für oder Wider inbezug auf die Schuldfrage herauslesen zu können. In Frankreich geschah nichts Bemerkenswertes: Eine dumpfe, drückende Schwüle wie nach einem Gewitter, das sich nicht völlig entladen hatte, lagerte über der öffentlichen Meinung. Man sah wohl eine Gesandtschaft nach Rom abreisen; sonst aber kein Zeichen, keine öffentliche Erklärung, keine Sühneleistung. Man fängt an zu murren, selbst in den Kreisen der Anhänger des Königs mehrt sich die Zahl jener, die mehr und mehr an eine unmittelbare Schuld des Königs glauben. Bereits sind Monate dahin und immer noch befindet sich der König mit der Kurie auf gespanntem Fusse also ist der König schuldig!

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1), Richard Neveu ... fut préposé pour administrer ses (sc. Bernard de Languissel) revenus (Ménard, Hist. de Nismes I, 426). Über die Dauer seiner Administration zu Nîmes war vorläufig kein völlig gesichertes Resultat zu erlangen. Hauréau a. a. O. lässt Languissel erst 1305 nach der Wahl Clemens' V. von Rom in seine Diözese zurückkehren. Ménard a. a. O. S. 430 gibt an, dass im August 1303 an Bernard de Languissel eine königliche Aufforderung erging, zu den Kosten des Flandererkrieges beizutragen den Aufenthalt Languissels in seiner Diözese vorauszusetzen scheint. Die Frage völlig zu klären, dazu reichte das zur Verfügung stehende Material nicht aus.

was ihm

Mit Schmerz beobachtete der vertraute Anhänger Philipps diese Vorgänge. Unbegreiflich war es ihm, wie die Macher der Politik nach seiner Meinung so zurückhaltend, ja, geradezu nachlässig die Zwistigkeit behandeln konnten. Leneveu war nicht eingeweiht genug, um zu erkennen, dass Philipp und Nogaret nicht anders handeln durften; er sah nur, dass man sich, wie er glaubte, einer beklagenswerten Unterlassung schuldig machte, indem sie es verabsäumten, zum mindesten, die öffentliche Meinung zu beschäftigen und deren Aufmerksamkeit von der wunden Stelle abzulenken. Dass es sich aber doch um eine ,faule Sache handle, gestand er mit dem Bemerken zu: Et communiter dici potest, quod res grandis et horribilis occasione regis aut propter ipsum attemptata fuit in eum, qui tanquam vicarius Christi reputabatur in terris tenere locum".

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Als Leneveu bekümmerten Herzens ob der drohenden Beschattung der strahlenden Krone nach einem geeigneten Aushilfsmittel Umschau hielt, da fiel sein Blick auf den königlichen Advokaten, seinen Freund, der vor zwei Jahren mit seinen Schriften ausgezeichnete Dienste geleistet und Proben abgelegt hatte, die öffentliche Meinung zu beherrschen und zu lenken. Sollte er jetzt versagen, wo die Not so gross war?

Leneveu wandte sich brieflich an Dubois. Mit kurzen, aber ausdrucksvollen Strichen zeichnete der Freund dem Freunde, der ja ohnedies schon alles kannte, die bedrohte Lage des Königs und der französischen Krone, die klaffende Lücke in dem Operationsplan des Königs. und seiner Mitarbeiter. Hier in diese Lücke soll Dubois einspringen aber massvoll, klug, vorurteilsfrei, so dass der König an seinem Werke ein consilium sanum" und ein , testimonium clarum" habe, wodurch er sich als Retter der Kirche so massvoll muss es gehalten sein aufspielen, dadurch der Krone den alten Glanz gewinnen und schliesslich auch die Gegner zu Paaren treiben kann. Nur frisch ans Werk! Vielleicht ergibt sich dabei noch viel grösseres und wunderbareres, selbst wenn inzwischen der Anlass zu diesem Vorschlag sich in ein Nichts verflüchtigen sollte.

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Ich verhehle mir keineswegs, dass die konkrete Persönlichkeit nichts weiter als eine schöne Hypothese ist. Es kann auch eine andere Persönlichkeit in dem Vertrautenkreise des Königs, die nicht den Namen Richard Leneveu trägt, mit all den vom Briefe geforderten Eigenschaften ausgezeichnet sein. Ja, wenn einer der Züge, die sich mit Leichtigkeit aus dem Schriftstücke lesen lassen, ganz und gar individuellund isoliert, und wenn gerade Leneveu mit diesen Zuge behaftet wäre, dann stände die Wahrscheinlichkeit auf festerem Boden.

Oft gelingt es aus einer Gruppe möglicher Personen die richtige herauszufinden, wenn andere Erzeugnisse ihrer Feder oder ihres Geistes. überliefert sind. Wohl geht ein Aktenstück aus dem Jahre 1300 unter Richard Leneveus Namen, nämlich der „procès-verbal de l'enquête contre Bernard de Saisset 1); es ist aber auch das einzige Stück, das wir bis jetzt von ihm kennen. Trotzdem es ziemlich umfangreich ist, so bietet es dennoch für eine Stilvergleichung so gut wie nichts, weil nur ein ganz kleiner Teil von ihm selbst herrührt; alles übrige sind Zeugenaussagen, die ein Notar redigierte. Das kurze Stück Leneveus selbst gibt keine Anhaltspunkte, wie sein ganz anders gearteter Gegenstand eben auch einen verschiedenen Stil und eigene Ausdrucksform der Sprache verlangte.

Als Resultate der Untersuchung dürften sich gleichwohl ergeben: Der Brief wurde geschrieben zu Ende April oder Anfang Mai 1304. Er weist sich aus als vertraulicher Auftrag an den Publizisten Pierre Dubois, für Philipp ein Schriftstück, Gutachten und Verteidigung zugleich, auszuarbeiten; entstanden ist er bei einem treubesorgten Freunde des Königs, vielleicht ist er aus der Feder des nachmaligen Bischofs von Béziers, Richard Leneveu, geflossen.

1) Dupuy, S. 632-651; vgl. dazu Hist. Litt. XXVI, 551.

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