Mit Schmerz beobachtete der vertraute Anhänger Philipps diese Vorgänge. Unbegreiflich war es ihm, wie die Macher der Politik nach seiner Meinung so zurückhaltend, ja, geradezu nachlässig die Zwistigkeit behandeln konnten, Leneveu war nicht eingeweiht genug, um zu erkennen, dass Philipp und Nogaret nicht anders handeln durften; er sah nur, dass man sich, wie er glaubte, einer beklagenswerten Unterlassung schuldig machte, indem sie es verabsäumten, zum mindesten, die öffentliche Meinung zu beschäftigen und deren Aufmerksamkeit von der wunden Stelle abzulenken. Dass es sich aber doch um eine ,faule Sache handle, gestand er mit dem Bemerken zu: Et communiter dici potest, quod res grandis et horribilis occasione regis aut propter ipsum attemptata fuit in eum, qui tanquam vicarius Christi reputabatur in terris tenere locum". Als Leneveu bekümmerten Herzens ob der drohenden Beschattung der strahlenden Krone nach einem geeigneten Aushilfsmittel Umschau hielt, da fiel sein Blick auf den königlichen Advokaten, seinen Freund, der vor zwei Jahren mit seinen Schriften ausgezeichnete Dienste geleistet und Proben abgelegt hatte, die öffentliche Meinung zu beherrschen und zu lenken. Sollte er jetzt versagen, wo die Not so gross war? Leneveu wandte sich brieflich an Dubois. Mit kurzen, aber ausdrucksvollen Strichen zeichnete der Freund dem Freunde, der ja ohnedies schon alles kannte, die bedrohte Lage des Königs und der französischen Krone, die klaffende Lücke in dem Operationsplan des Königs und seiner Mitarbeiter. Hier in diese Lücke soll Dubois einspringen aber massvoll, klug, vorurteilsfrei, so dass der König an seinem Werke ein consilium sanum" und ein, testimonium clarum“ habe, wodurch er sich als Retter der Kirche so massvoll muss es gehalten sein aufspielen, dadurch der Krone den alten Glanz gewinnen und schliesslich auch die Gegner zu Paaren treiben kann. Nur frisch ans Werk! Vielleicht ergibt sich dabei noch viel grösseres und wunderbareres, selbst wenn inzwischen der Anlass zu diesem Vorschlag sich in ein Nichts verflüchtigen sollte. Ich verhehle mir keineswegs, dass die konkrete Persönlichkeit nichts weiter als eine schöne Hypothese ist. Es kann auch eine andere Persönlichkeit in dem Vertrautenkreise des Königs, die nicht den Namen Richard Leneveu trägt, mit all den vom Briefe geforderten Eigenschaften ausgezeichnet sein. Ja, wenn einer der Züge, die sich mit Leichtigkeit aus dem Schriftstücke lesen lassen, ganz und gar individuellund isoliert, und wenn gerade Leneveu mit diesen Zuge behaftet wäre, dann stände die Wahrscheinlichkeit auf festerem Boden. Oft gelingt es aus einer Gruppe möglicher Personen die richtige herauszufinden, wenn andere Erzeugnisse ihrer Feder oder ihres Geistes überliefert sind. Wohl geht ein Aktenstück aus dem Jahre 1300 unter Richard Leneveus Namen, nämlich der procès-verbal de l'enquête contre Bernard de Saisset1); es ist aber auch das einzige Stück, das wir bis jetzt von ihm kennen. Trotzdem es ziemlich umfangreich ist, so bietet es dennoch für eine Stilvergleichung so gut wie nichts, weil nur ein ganz kleiner Teil von ihm selbst herrührt; alles übrige sind Zeugenaussagen, die ein Notar redigierte. Das kurze Stück Leneveus selbst gibt keine Anhaltspunkte, wie sein ganz anders gearteter Gegenstand eben auch einen verschiedenen Stil und eigene Ausdrucksform der Sprache verlangte. Als Resultate der Untersuchung dürften sich gleichwohl ergeben: Der Brief wurde geschrieben zu Ende April oder Anfang Mai 1304. Er weist sich aus als vertraulicher Auftrag an den Publizisten Pierre Dubois, für Philipp ein Schriftstück, Gutachten und Verteidigung zugleich, auszuarbeiten; entstanden ist er bei einem treubesorgten Freunde des Königs, vielleicht ist er aus der Feder des nachmaligen Bischofs von Béziers, Richard Leneveu, geflossen. 1) Dupuy, S. 632-651; vgl. dazu Hist. Litt. XXVI, 551. Der Donaufeldzug von 1546. Von P. Schweizer, Mit einer Karte. Einleitung. Über den ersten Feldzug des schmalkaldischen Krieges existiert keine zusammenfassende Monographie, da die Abhandlungen von Hasenclever, Schmidt und Baumgarten nur die diplomatische Seite des Krieges behandeln, die von M. Lenz 1883 begonnene Kriegführung der Schmalkaldner an der Donau im 49. Band der histor. Zeitschrift bei einem ersten Artikel stehen geblieben ist, welcher nur die Vorgeschichte des Krieges, die Unternehmungen Schertlins, schildert und da aufhört, wo durch Vereinigung der kursächsichen und hessischen Fürsten und Truppen mit den süddeutschen Bundesgenossen am 3. August erst der eigentliche Krieg beginnt, obgleich Lenz durch seine kritische Abhandlung „Der Rechenschaftsbericht Philipps des Grossmütigen über den Donaufeldzug 1885 die beste Vorarbeit dazu geliefert hat. Zwar hat Druffel in den Münchner Sitzungsberichten 1882, 2. Band 342 bis 399 einen Beitrag zur militärischen Würdigung des Schmalkaldischen Krieges veröffentlicht; aber diese Abhandlung des sonst durch die mustergiltige Ausgabe des Viglius-Tagebuches und seine Beiträge zur Reichsgeschichte für diese Zeit so hoch verdienten Forschers muss als verfehlt und dem Titel wenig entsprechend bezeichnet werden. Es war ein unglücklicher Gedanke, diesen Krieg, für welchen so zahlreiche Schilderungen persönlich Beteiligter aus beiden Lagern zu Gebote stehen, von dem Urteil des nichtbeteiligten italienischen Historikers Jovius abhängig zu machen und seine in der Tat kaum ernstgemeinten Lobeserhebungen zu Gunsten des Kaisers, die Vergleichung mit Caesar, Karl dem Grossen und Fabius Cunctator als bestimmend und verführend für die wesentlichsten Quellenschriften hinzustellen. Dabei wäre mindestens zu unterscheiden gewesen zwischen den beiden ersten in keiner Beziehung passenden Vergleichungen und der weitzutreffenderen mit dem Cunctator, die so naheliegend war, dass sie auch von andern, von Faleti (p. 115), sogar von protestantischen Quellen gemacht wurde, wie von der Flugschrift,Pasquillus 1546" 1) und vom Anonymus Menckenianus (p. 1456). Der Irrtum des Jovius, welcher dem Kaiser überall entschieden offensive Absichten zuschreibt, verführt Druffel zu gleicher Beurteilung der Quellen, als ob die von Avila und teilweise auch den Commentaires Karls V. selbst dem Kaiser zugeschriebenen Angriffspläne ernst und wahrhaft gemeint, dagegen die in Wirklichkeit von ihm befolgte kunktatorische Methode ihm erst nachher auf Grund des Briefes von Jovius zugeschrieben worden wäre. Aus der folgenden Darstellung dürfte sich wohl des bestimmtesten das Gegenteil ergeben und wieder eine der Rankeschen näherstehende Auffassung, so dass wenn auch nicht gerade in der ersten Vorbereitung, so doch in der Durchführung des Krieges die bewunderungswürdige Umsicht des Kaisers" so wenig überschätzt wurde, als die Unklarheit und Unentschlossenheit seiner Gegner zu einseitig betont worden" ist, wie Druffel meint2). " Quellen. Der reiche Quellenkreis für diesen Feldzug ist von Voigt: Die Geschichtschreibung über den schmalkaldischen Krieg 1874 in trefflicher Weise zusammengestellt, durch Lorenz: Beiträge zur Geschichtschreibung des schmalkaldischen Krieges 1876 und namentlich durch Leuz: Der Rechenschaftsbericht Philipps des Grossmütigen über den Donaufeldzug 1885 so vorzüglich beleuchtet worden, dass ich mich hier mit einer kurzen Skizzierung meiner Auffassung der wesentlichsten Quellen begnügen kann. Von den Quellen aus dem kaiserlichen Lager gibt zwar Avila eine anscheinend vollständige, gut abgerundete Geschichte des Krieges, entstellt ihn aber durch chronologische Irrtümer und durch schmeichlerische Herausstreichung der gar nicht vorhandenen offensiven Absichten des Kaisers so sehr, dass man am besten auf diese Quelle, so gut es geht, verzichtet. Da die lateinische Ausgabe van Male's eine 1) Vgl. Druffel, Sitzungsberichte 346. willkürlich erweiternde Überarbeitung ist, die alten spanischen Ausgaben sehr selten sind, zitiere ich nach der Ausgabe der Biblioteca de Autores Españoles, tomo XXI 410-449. Karls eigene Commentaires gestehen viel wahrhafter allerlei Misserfolge und die viel bescheideneren Absichten ein, wurden daher mit Recht von Ranke hochgestellt, wenn er auch noch wenig Mittel zu ihrer Kontrollierung beIch zitiere nach Warnkönigs deutscher Übersetzung, obschon sie p. 110 und 111 einen schlimmen Fehler „Neuburg statt Neustadt" macht, habe übrigens in beiden Fällen die ursprünglichen Texte benützt. Immerhin verschleiert auch der Kaiser noch manches und scheint, so viele Fehler er den Gegnern vorrechnet, absichtlich seine allerschlimmsten Situationen bei Neustadt und beim Bezug des Ingolstädter Lagers zu vertuschen. sass. Für die auf kleine Reiterscharmützel sich beschränkenden militärischen Aktionen des Krieges sind die Geschichtschreiber der italienischen Reiterführer, Godoi, Sekretär des Fürsten von Sulmona, und Faleti, Begleiter Francescos von Este, des Generalhauptmanns der kaiserl. Reiterei, von grossem Wert. Diesen chronologisch oft unbestimmten oder schiefen Quellen kommt das chronologisch ganz genaue Tagebuch des Viglius van Zwichem, kaiserlichen Sekretärs, zu Hilfe, von Druffel mit reichem Commentar und Ergänzungen aus Briefen herausgegeben. Dem schon von Ranke edierten Tagebuch des Markgrafen Hans von Brandenburg-Cüstrin, der dem Kaiser 600 Reiter zuführte, kann man nicht ganz die gleiche Bedeutung zusprechen, wenn es auch als Quelle aus dem protestantischen Teil des kaiserlichen Lagers interessant ist. Für die Truppenstärke des Kaisers, worüber der Anonymus Menckenianus gegen Avila polemisiert, ist entscheidend der Catalogus exercitus von Mameranus 1550, wovon Hortleder II 375 auch eine deutsche Übersetzung gibt. Sein Verzeichnis des schmalkaldischen Heeres, daselbst 415, ist natürlich weniger zuverlässig; es fehlt überhaupt an sicheren Angaben darüber. Äusserst erwünscht ist dagegen, dass diese kaiserlich gesinnten Quellen durch eine objektivere des venezianischen Botschafters Mocenigo aus dem kaiserlichen Lager ergänzt werden; wertvoller als seine seit 1870 bekannte Schlussrelation 1) sind seine unmittelbaren Depeschen, die in der Ausgabe der Wiener Academie von Tarba unter Leitung Büdingers 1892 hier zum ersten Mal für die Geschichte des Krieges benützt werden und durch Übereinstimmung mit schmalkaldischen Quellen viele Rätsel lösen, unten als Dispacci zitiert. 1) Fontes rerum Austriacarum II. tom. XXX. |