Kaum minder reichhaltig sind die Quellen aus dem schmalkaldischen Lager. Drei derselben beziehen sich speziell auf Schertlin von Burtenbach. Die zuverlässigste sind Schertlins eigene Briefe an Augsburg, von Herberger 1852 herausgegeben. Wenn sie auch anfangs oft die Sachlage und die Kriegslust der Verbündeten günstiger darzustellen suchen, als sie war, schon mit Rücksicht auf die in Augsburg ziemlich starke Friedenspartei, so lassen sie doch, da sie in grosser Eile geschrieben sind, an anderen Stellen nicht nur die Zerfahrenheit und Uneinigkeit der Führer erkennen, sondern zeigen auch deutlich, dass Schertlin selbst nicht so energisch gesinnt war, wie er es nachher in seiner Autobiographie, ed. Schönhut: Leben und Taten Schertlins 1858, darzustellen sucht. Obschon er den Bürgermeister am 2. August bat, alle seine Briefe aufzubewahren, damit sie seinerzeit zur Bearbeitung einer Kriegsgeschichte benützt werden könnten, sind die Briefe dann doch weder zu seiner Autobiographie noch zu der fälschlich Schertlin zugeschriebenen Kriegsgeschichte des Anonymus Menckenianus1) benützt worden, lassen vielmehr diese beiden Werke in recht bedenklichem Lichte erscheinen, da z. B. beide im Widerspruch zu den Briefen dem Landgrafen die Unterlassung des Angriffs auf München. schuld geben, auch Misserfolge Schertlins selbst auf andere schieben. Wie der hier besonders in Betracht kommende Teil der Autobiographie hauptsächlich gegen den Landgrafen polemisiert, so erschöpft sich der Anonymus, wo er nicht die Autobiographie ausschreibt, mit unglücklicher Polemik gegen Avila und hat nur an einigen Stellen, wo er in erster Person spricht, originalen Wert; doch scheinen mir diese Stellen nicht auf den Verfasser bezüglich, der ein humanistisch gebildeter und durch wörtliche Übersetzungen aus dem Lateinischen im Stil verbildeter Gelehrter war, (vielleicht doch der Schertlin beigegebene Doktor Niclaus Maier), sondern auf wörtlicher Herübernahme einzelner Berichte eines Kriegsmannes zu beruhen. Jedenfalls verdient diese etwas späte, erst 1555 verfasste und abgeleitete Quelle nicht die Beachtung, die ihr Ranke und andere zu Teil werden liessen. Wie Druffel 386 diesem Scribenten eine Kenntnis der Beratung des Kaisers mit seinem Beichtvater zutrauen kann, ist auch nicht recht begreiflich. Die Dispacci II 85. wissen wohl von des Beichtvaters Krankheit, aber nicht von seinem Tod, den der Anonymus erzählt. Unter den hessischen Quellen zeigt sich ein ähnliches Verhältnis zwischen den im Lager geschriebenen Zeitungen und Briefen des Landgrafen, welche Lenz in seinem Rechenschaftsbericht heraus 1) Mencken, Scriptores III 1362. gegeben hat und dem späteren Rechenschaftsbericht, welchen schon. Rommel III 139 edierte, wie auch namentlich einem noch spätern, mit Unrecht dem Simon Bing zugeschriebenen Diarium). Jene Zeitungen und Briefe sind für die Facta am zuverlässigsten, aber etwas farblos gehalten ohne Erwähnung der vielfachen Differenzen zwischen den Führern. Bestimmter sind diese im Rechenschaftsbericht angedeutet, auf die Spitze getrieben im Diarium mit persönlichen Vorwürfen gegen den Kurfürsten, während früher nur seine allzu witzigen Räte und Offiziere angeklagt wurden. Auffallend und parallel zu den Schertlin'schen Quellen ist aber, dass auch der Landgraf in seinen Berichten viel angriffslustiger und energischer dargestellt wird als in den Zeitungen und Briefen. Die Vergleichung mit diesen und mit Schertlins Briefen lässt überall erkennen, dass Philipp in diesem Kriege nicht mehr der energische und tatkräftige Mann war, wie früher, dass er seine Vorschläge zur Offensive nicht mit nachdrücklichem Erust, sondern mehr nur als Redensarten und Erinnerungen an frühere Taten vorbrachte und erst im Diarium dies alles als bestimmte Auträge hinstellte, die regelmässig am Widerspruch des Kurfürsten gescheitert seien. Auch Leuz scheint ihm hier etwas zu viel Glauben zu schenken und hat leider die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Diariums unbeantwortet gelassen, während ich sie in dem eben angedeuteten Sinne beantworte. Da von hessischer Seite und zum Teil auch von Schertlin, aber nicht überall übereinstimmend, so heftige Vorwürfe heftige Vorwürfe gegen Kursachsen gerichtet wurden, ist besonders zu bedauern, dass von dieser Seite keine brauchbare Quelle vorliegt. Ratzeberger kann mit seiner fast in Verücktheit ausartenden Verräterriecherei und seiner Behauptung, der Landgraf habe seine Geschütze bei Ingolstadt absichtlich zu hoch gerichtet, so wenig in Betracht kommen als der zu Moritz übergegangene Camerarius mit seiner in griechischer Sprache geschriebenen Geschichte des schmalkaldischen Krieges2). Der sehr überschätzte Sleidan erweist sich auch hier als eine so unglückliche, farblose und unselbständige Compilation aus bekannten Druckschriften, besonders den hessischen Rechenschaftsberichten, dass es unverantwortlich wäre, ihn zu zitieren. Noch weniger können die übrigen abgeleiteten Werke von Hortensius, Schlusser v. Suderburg etc. in Betracht kommen. Doch bietet dieser ganze Quellenkreis ein lehrreiches und warnendes Beispiel, wie tendenziös und verschleierud auch die von direkt Beteiligten ausgehenden Quellenschriften sein können; 1) Ediert bei Mogen, Historia Captivitatis Philippi 1766. 2) Freher-Struve, Scriptores III. ein Glück, dass sie durch ihre grosse Zahl und ihre verschiedenartigen Parteistandpunkte sich gegenseitig korrigieren. Dagegen bedarf die grossartige Aktensammlung Hortleders infolge irriger Behauptungen über ihre Editionsverhältnisse hier noch einer Besprechung. Hortleder, Handlungen und Ausschreiben von Anfang, Fortgang und Ausgang des teutschen Krieges 1645 zitiere ich in dieser 2. Ausgabe, von Hortleders Schwiegersohn Prüschenk, weil sie in meinem Besitz und weniger selten ist als das ursprüngliche 2. Werk Hortleders von 1618, obwohl dieses Werk keineswegs unvollendet und unediert blieb, wie Wegele Historiographie 372 und A. D. B. behauptet, da z. B. die Basler und die Züricher Stadtbibliothek ein Exemplar besitzen; auch bildet das Buch von 1618 keineswegs einen 3. Band des 1.Werkes, der, wie Voigt meint, bis auf das Dresdener Exemplar vernichtet wurde; sondern ein neues Werk, das den Krieg selbst betrifft und seine Quellenschriften von Avila, Godoi und Faleti enthält, während das erste Werk, nur von der Vorgeschichte und dem Ursprung des Krieges handelt. Nach Wegeles Angabe würde also gar kein Werk Hortleders über den Krieg selbst existieren, während wir es doch in 2 Ausgaben besitzen! Dagegen ist Wegeles Befürchtung, in der Ausgabe von 1645 gar nicht den echten Hortleder vor sich zu haben, müssig, was den Inhalt betrifft; verschieden sind nur Band- und Seitenzahlen, da Prüschenk die beiden Werke von 1617 und 1618 in ein zweibändiges Werk zusammenzog und mit Porträts, Plänen, Schlachtenbildern etc. bereicherte, die dem ursprünglichen Hortleder noch fehlten. Die neue Ausgabe von Dahlmanns Quellenkunde Nr. 5881 macht aus den früheren irrigen Angaben, aber auch nach Vorgang der A. D. B., eine neue Konfusion, indem sie das Werk von 1618 ungenau als 3. Band bezeichnet und die auf diesen bezügliche irrtümliche Angabe der Nichtvollendung auf einen ganz unmöglichen 3. Teil der Ausgabe von 1645 bezieht! Alles zusammengenommen ein recht drastisches Beispiel für die dürftige und unkritische Behandlung der wichtigsten Quellenschriften des 17. Jahrhunderts, wie sie auch Lenz (in Raschins Bericht) beklagt. Kunktatorische Kriegführung. Der erste Teil des schmalkaldischen Krieges wurde von den Zeitgenossen, wie z. B. Avila, als ein eigener, vom zweiten Teil, dem Elbefeldzug, unabhängiger Krieg betrachtet und kann als Donaufeldzug bezeichnet werden; er unterscheidet sich von jenem dadurch, dass er vom ganzen schmalkaldischen Bund geführt wird, während beim Elbefeldzug der Kurfürst von Sachsen allein dem Kaiser und Herzog Moritz gegenübersteht, dieser Feldzug also nicht im vollen Sinne zum schmalkaldischen Krieg gerechnet werden kann. Für den Donaufeldzug ist aber gerade der föderalistisch-alliierte Charakter auf schmalkaldischer Seite im Gegensatz zu der einheitlichen Führung auf der kaiserlichen Seite bezeichnend; er erklärt die durchaus widersinnige Kriegführung. Der Donaufeldzug ist dadurch merkwürdig, dass von allem, was sonst Kriege interessant macht, nichts vorkommt; keine Schlacht, kaum ein ernstliches Gefecht, keine eigentlichen Belagerungen und gewaltsamen Erstürmungen von Städten; nur ein fortwährendes nebeneinanderherund aneinander vorbei-Marschieren auf einem sehr ausgedehnten Gebiet, fünfmaliges Gegenüberlagern1) ohne andere militärische Operationen als kleine Reiterscharmützel und Hinterhalte, von kaiserlicher Seite einige Überrumpelungen von Städten, von schmalkaldischer Seite ein gewaltiges, aber wirkungsloses Bombardement. Mann kann aber in gewissem Sinne die Kriegführung auf beiden Seiten als kunktatorisch bezeichnen, wie denn wenigstens die des Kaisers schon von verschiedenen Zeitgenossen mit der des berühmten Kunktators Fabius Maximus verglichen wurde. Die kunktatorische Kriegführung war in älterer Zeit viel beliebter und häufiger als heute 2), wurde aber meist nur von einer Partei geübt und bedeutete dann ein viel strategische3) Kunst erforderndes Vermeiden eines entscheidenden Zusammenstosses von Seite einer an Zahl oder Schlagfertigkeit schwächeren Armee oder auch von einer, deren Niederlage die schlimmsten Konsequenzen gehabt hätte, während sie beim Aufschub eher gewinnen oder den Gegner schwächen konnte. Meist kamen wohl politische Gründe zu den militärischen hinzu. So war der Zug Herzog Albrechts von Österreich gegen den König Adolf von Nassau, wobei es darauf ankam, auf dem Wege von Österreich 1) Diese Anlegung verschanzter Lager in unangreifbarer Stellung war auch ein in dieser Zeit beliebtes Prinzip, da der Herzog Albrecht von Preussen in seinem Kriegsbuch lehrt, wie man sich mit Vorteil lagern und im Lager halten soll; vgl. Jähns Geschichte der Kriegswissenschaft I p. 516. Dagegen sagt Clausewitz, Vom Krieg I 204., Damit die Verteitigungsstellung ein Schlachtfeld werde, dürfen die Vorteile nicht überpannt werden". 2) Clausewitz, Vom Krieg I 231 und III 81 behandelt sie geringschätzig als ein Halbding, das nur bei Mangel an grossen Interressen eintrete und zu keinem Ziel führe; aber diese beiden Einschränkungen stimmen für diesen Krieg gar nicht, mit dem sich Clausewitz auch nie beschäftigte, und doch hätte er ihn interessieren können, da er II p. 340 das Vorbeimarschieren an einer defensiven Stellung als seltenen Fall bezeichnet. 3) Strategie brauche ich hier im wörtlichen Sinne von Heeresmarschführung, nicht im modernen vom Gefecht, wie Clausewitz, Vom Krieg I 169, wo aber Il 376 auch von strategisch Manövrieren als einem Spiel gleichgewichtiger Kräfte die Rede ist. > nach Frankfurt, wo ihn die Kurfürsten zum König wählen wollten, jeden Zusammenstoss mit dem bisherigen König, der ihm den Weg verlegte, zu vermeiden, eines der seltenen Meisterstücke mittelalterlicher Strategie, von den gegnerischen Quellen verständnislos oder tendenziös als Feigheit ausgelegt. Der von Karl V. geschulte Alba wandte diese Methode in seinen späteren Feldzügen an. Ein Kunktator war auch Wallenstein, der den Gegnern nach ihrem eigenen Geständnis die Direktion der Kriegführung aufzunötigen verstand1). Wie beliebt eine derartige Kriegführung gerade zur Zeit Karls V. war, zeigt die um 1535 von dem französischen Staatsmann Guillaume du Bellay verfasste Instruction sur le fait de la guerre, wenn sie sagt, der General soll nie eine Schlacht wagen, wenn er nicht völlig überzeugt ist, im Vorteil zu sein; einer übermächtigen Invasion soll man mit hinhaltendem Krieg begegnen (temporizer contre l'ennemi); Verteidigung des eigueu Gebietes dem Einfall in das feindliche vorziehen 2). Natürlich ist die kunktatorische keine an und für sich im allgemeinen gültige, sondern nur in bestimmten Fällen anwendbare Methode; aber eben dadurch ist dieser Feldzug so interessant, da er zugleich ihre richtige und ihre falsche Anwendung zeigt. Fast ohne Beispiel ist aber eine von beiden Seiten geübte kunktatorische Kriegführung, wie sie im schmalkaldischen Donaufeldzug vorliegt und dennoch mit dem Siege der einen Partei endet. Auf schmalkaldischer Seite verdient sie freilich diesen Namen nicht im vollen, nur im negativen Sinne der Untätigkeit und Vermeidung aller Wagnisse; denn zu einer richtigen kunktatorischen Kriegführung gehört es, dass man mit unerwarteten Wendungen und Märschen, die Mut und Gewandtheit erfordern, den Gegner herumzieht und ermüdet, ohne ihm jedoch Gelegenheit zum Schlagen zu geben. Dies hat der Kaiser im vollsten Masse getan; die Schmalkaldner haben sich rein passiv herumziehen lassen, aber auch mehrere Gelegenheiten zum Angriff versäumt, welche ihnen der Kaiser wider Willen, aus ungenügender Kenntnis ihrer Bewegungen bot. Ebenso unabsichtlich gewährten sie auch dem Kaiser solche Gelegenheiten trotz ihrer Vorsicht; aber er hielt auch dann, sogar gegen die Mehrheit seines Kriegsrates an seinem Grundsatz fest, eine Schlacht zu vermeiden. Dass er mit dieser Methode schliesslich einen unblutigen Sieg davon trug und das gegnerische Heer zur Auflösung und Verlassung der Donaugegenden brachte, wäre freilich 1) Brief Bernhards von Weimar in Oxenstiernas Brefvexling II, VII p. 10 f. vgl. Schweizer: Wallensteintrage p. 353. 2) Vgl. Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaft I. 500. |