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Zur Geschichte der patrimonialen Gewalten

in Niederösterreich.

Von

Alfons Dopsch.

I.

Es darf als eine sehr erfreuliche Tatsache betrachtet werden, dass den verfassungs- und wirtschaftsgeschichtlichen Problemen der südostdeutschen Gebiete, welche heute zu Österreich gehören, auch seitens der reichsdeutschen Forschung reges Interesse sich zuwendet. Eines der reizvollsten unter ihnen, wenn auch schwierigsten, ist vielleicht die Entwicklung der patrimonialen Verwaltung. Jüngst hat P. Osswald nun „Die Gerichtsbefugnisse der patrimonialen Gewalten in Niederösterreich zum Gegenstande einer Spezialuntersuchung1) gemacht, die im ganzen dankbar begrüsst werden darf, als ein neuer Versuch zur Lösung dieser komplizierten Frage.

Seitdem A. v. Luschin sich mit ihr beschäftigt hatte 2), ist ein reiches Quellenmaterial dazu veröffentlicht worden, vor allem die niederösterreichischen Weistümer, welche Gustav Winter 3) in trefflichster Weise erschlossen hat. Dazu treten die gleichfalls in den Schriften

1) Leipziger histor. Abhandlungen herausgeg. von E. Brandenburg, G. Seeliger, U. Wilken Heft V. Leipzig, Quelle und Meyer 1907. 8°. VIII und 99 S. Dieser Aufsatz dient zugleich als Rezension des Werkes.

2) Gesch. des älteren Gerichtswesens in Österreich ob und unter der Enns (1879).

3) Österreichische Weisthümer gesammelt von der k. Akademie der Wissenschaften in Wien 7. u. 8. Bd. 1886 u. 1896.

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der Wiener Akademie nunmehr erscheinenden Österr. Urbare". Damit ist heute eine ganz andere Behandlung dieses Problems möglich geworden als vor 30 Jahren, da Luschin sich damit beschäftigte.

Die Untersuchungen Osswalds sind freilich vielfach nur eine mit Hilfe jener neu erschlossenen Quellen illustrierte Ausführung dessen, was von Luschin seinerzeit bereits dargelegt hatte. Dabei sind so manche Schwierigkeiten übersehen worden, die v. Luschin augenscheinlich selbst erkannt hat, denen er durch vorsichtige Formulierung seiner Darlegungen doch Rechnung zu tragen suchte.

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Wie Luschin, so geht auch Osswald von den jüngeren Ordnungen über die Rechte der patrimonialen Gewalten in Niederösterreich, speziell dem Tractatus de iuribus incorporabilibus vom Jahre 1679 und Suttinger's Consuetudines Austriacae aus, die als Anhaltspunkt dienen, von dem aus der Ursprung der Gerichtsrechte von Grund-, Dorf- und Vogteiherrschaft und ihre Entwicklung bis zum Ende des 17. Jahrhunderts betrachtet werden sollen" 1). Das muß heute als ein schwerer methodischer Fehler bezeichnet werden, da wir jetzt in der Lage sind, die Entwicklung von ihrem Ursprunge her, an der Hand gleichzeitiger Quellen, vor allem der Urkunden, zu verfolgen. Osswald selbst muß sich alsbald gestehen, daß es dem Verfasser jener jüngeren Quellen schwer wurde, die bestehenden Verhältnisse zu klassifizieren", ja er sieht sich, um seine Hypothesen diesen Quellen gegenüber halten zu können, geradezu genötigt, in sehr wesentlichen Darlegungen ein Versehen dieser anzunehmen 2). Eine wenig Vertrauen erweckende Grundlage!

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Folgen wir nun den Ausführungen Osswalds selbst. Man hat bisher die sog., Dachtraufengerichtsbarkeit“, d. h. die Judicatur über jene nichtlandgerichtsmässigen Sachen, die im Hause oder unter dem Dachtropfen begangen wurden, als eine rein grundherrliche betrachtet und ihr die öffentliche gegenübergestellt, welche im Dorfe und auf dem Felde, soweit sie Niedergerichtsbarkeit war, der Dorfrichter übte, während die mit dem Blute zu sühnenden schweren Fälle dem Landrichter vorbehalten blieben 3).

Osswald unterscheidet nun zwei Arten der Dachtraufengerichtsbarkeit. Einmal die eigentlich grundherrliche, niederste Gerichtsbarkeit, die jedem Besitzer von Grund und Boden über seine Leute zustand, dann aber eine zweite, höhere Art, die einer besonders privilegierten

1) A. a. O. S. 6.

2) A. a. O. S. 4 N. 3.

3) Luschin a. a. O. S. 179.

Klasse, dem Hochadel vorbehalten ist und mehr als die grundherrliche Gerichtsbarkeit im engeren Sinne umfasst. Nicht nur Polizeigewalt (Rauf- und Rumorhändel), sondern auch die Gerichtsbarkeit über blutrünstige Vergehen wie über alle niederen Frevel und Wändel ausser den causae maiores (Diebstahl, Mord, Notzucht). Niedergerichtsbarkeit also im Gegensatz zur rein grundherrlichen einerseits und der Landgerichtsbarkeit andererseits.

Osswald will in dieser Dachtraufengerichtsbarkeit ein Gegenstück zu der Zaungerichtsbarkeit in der Mark Brandenburg erblicken 1). Auch darauf hatte bereits v. Luschin seinerzeit hingewiesen 2), was aus der Darstellung Osswalds nicht erhellt.

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Festzuhalten ist, daß in den Quellen eine solche Unterscheindung der Dachtraufengerichtsbarkeit" nicht gemacht wird. Das Wort Dachtraufengerichtsbarkeit, sagt Osswald, lässt an sich diesen Unterschied nicht erkennen, sondern bezeichnet allein eine Gerichtsbefugnis innerhalb des Hauses und Hofes" 3).

Beides sind Grundgerichtsbarkeiten 4). Es fragt sich nun, wie diese qualifizierte Grundgerichtsbarkeit höherer Art aufzufassen ist. Unzweifelhaft, dass nicht jeder Grundherr sie besass, sondern nur ein gewisser Kreis von ihnen. Das war jedenfalls der Hochadel, und zwar der geistliche wie weltliche. Er hatte ganz allgemein die niedere Gerichtsbarkeit auf seinen Gütern inne, wie bekannt, schon im 13. Jahrhunderte.

Wie aber ist dieser Hochadel dazu gelangt? Zwei Möglichkeiten bestehen. Entweder dieses Recht ist durch Ausdehnung der grundherrlichen Gerichtsbarkeit zustande gekommen, oder durch Erteilung neuer Gerichtsbefugnisse. Osswald hat sich mit der ersten Möglichkeit, auf die er doch selbst aufmerksam wurde, des weiteren gar nicht beschäftigt, sondern sich sofort für die zweite entschieden. Und auch da steht er ganz im Banne der von Luschin seinerzeit gebotenen Darlegungen. Die Exemtion vom Landgericht war nach ihm das Entscheidende 5). Sie wurde bei den geistlichen Grundherrschaften durch Privilegien des Landesherrn erlangt. Die Reihe der Immunitätsurkunden aus dem 12. und 13. Jahrhundert ist ja zur Genüge bekannt. Da lag es nahe, das Gleiche auch für die weltlichen Grundherrn anzunehmen. Und das ist nun Osswalds Theorie: „Am Ausgang des

1) A. a. O. S. 15 N. 2.

2) A. a. O. S. 179 N. 323.
3) A. a. O. S. 15.

4) Vgl. auch Osswald S. 40.

5) A. a. O. S. 160.

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12. Jahrhunderts und am Beginn des 13. Jahrhunderts habe der Landesfürst die Machtfülle seiner Landrichter eingeschränkt zu Gunsten von weltlichen wie geistlichen Grossen 1). Im zwölften Jahrhundert wurden die niederen Befugnisse der Landgerichtsbarkeit zahlreich an den hohen Adel in Niederösterreich durch landesfürstliche Übertragung verliehen. Wie weit das schon vor dem Privilegium Minus von 1156, das die Exemtionsgewalt des Königs zugunsten des Landesfürsten beseitigte, der Fall gewesen ist, entziehe sich unserer Kenntnis. Mag auch hie und da der Markgraf von Österreich Teile seiner richterlichen Machtbefugnis preisgegeben haben, im großen Stile setzen diese Verleihungen erst im 12. Jahrhundert ein, seitdem der Herzog von Österreich als selbständiger Territorialherr mehr wie früher auf seinen Adel und dessen Steuer- und militärische Kraft angewiesen war. Dann aber mußte gerade der neue Territorialherr dafür sorgen, daß sein Adel landsässig blieb, und das erreichte er am besten dadurch, daß er ihm Teile seiner Gerichtsbarkeit zu Lehen gab."

So hatte der Hochadel die volle Niedergerichtsbarkeit auf seinen Gütern erlangt. Am Ende des 13. Jahrhunderts war diese Entwicklung zum Abschluß gekommen, wesentlich gefördert durch das österreichische Interregnum von 1246 bis 1282."

In Konsequenz dieser Auffassung betont Osswald dann noch speziell: Nur auf den Gütern, für die er ein besonderes Privileg besass, stand dem Hochadel diese Niedergerichtsbarkeit zu2).

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Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen grundherrlicher Gerichtsbarkeit und Dachtraufengerichtsbarkeit des Hochadels bestand nicht. Regelmässig wurden die neuen Rechte der Landherrn erlangt durch landesfürstliche Übertragung; diese landherrliche Gerichtsbarkeit“, wie man sie auch nennen könnte, ist durchaus öffentlich-rechtlichen Ursprungs, d. h. sie entstammt den von der Staatsgewalt ausgeübten Rechten 3).

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Die Dorfgerichtsbarkeit aber ist nach Osswald qualitativ der Dachtraufengerichtsbarkeit des Hochadels gleich" (Niedergerichtsbarkeit)4). Sie kommt ebenso wie jene durch Übertragung seitens des

1) A. a. O. S. 17. Das folgende S. 19. Die hervorgehobenen Stellen sind von mir gesperrt.

2) A. a. O. S. 20 N. 1.

3) Ebda. S. 21.

4) Ebda. S. 30.

Landesfürsten zustande und ist daher gleichfalls öffentlich-rechtlichen Ursprunges 1).

Man sieht, das ist die Theorie, welche früher schon v. Luschin, allerdings viel kürzer und vorsichtiger vorgetragen hatte. Ich habe, als ich die landesfürstlichen Urbare Ober- und Niederösterreichs aus dem 13. und 14. Jahrhundert veröffentlichte 2), dagegen Bedenken erhoben und auf eine Reihe urkundlicher Belege kurz hingewiesen, aus denen mir hervorzugehen schien, daß die Dorfgerichtsbarkeit in NiederÖsterreich , aus der grundherrlichen abzuleiten" sei. Ich ergreife nun gern die Gelegenheit, meinen Standpunkt gegenüber den Einwendungen Osswalds näher zu begründen, als es dort zulässig war.

Vor allem muß festgestellt werden, dass die Osswald's Theorie zur Grundlage dienenden Annahmen über das Zustandekommen der Niedergerichtsbarkeit des weltlichen Hochadels in Niederösterreich, jedweder quellenmässigen Begründung entbehren und durchaus bloss eine Kombination Osswald's darstellen. Es konnte bis jetzt keine einzige Urkunde nachgewiesen werden, durch welche der Landesfürst an einen weltlichen Grundherrn jene Niedergerichtsbarkeit verliehen oder übertragen hätte, es ist bisher kein landesfürstliches Exemtionsprivileg für den weltlichen Hochadel bekannt geworden. Die einzige Urkunde, auf welche sich v. Luschin und dann auch Osswald stützen, jene Herzog Albrechts I. für Ulrich von Capellen vom Jahre 1284 3) beweist dafür gar nichts, wie eine genaue Analyse ihres Inhaltes und der ihrer Ausfertigung zugrunde liegenden Verhältnisse dartut. Es handelt sich da nämlich nicht um die Neuverleihung, sondern um die Bestätigung bereits hergebrachter Rechte und auch nicht um jenes der Niedergerichtsbarkeit allein; an erster Stelle erscheint vielmehr die Zoll- und Mautfreiheit für alle Lebensmittel zu Wasser und zu Lande. Damit ist zugleich auch die Beziehung auf ältere Privilegien, durch welche diese Rechte erworben wurden, hinreichend erklärt. Daß sich Ulrich von Capellen, der übrigens vorwiegend in Oberösterreich begütert war, damals gerade diese Bestätigungurkunde ausstellen liess, hängt sicherlich mit den großen Gütererwerbungen zusamen, die er kurz vorher eben im Machlande, also ausserhalb Niederösterreichs, gemacht hatte. Ich komme darauf noch später in anderem Zusammenhange zurück. Hier genügt es zu konstatieren, dass wir über die Art der Erwerbung der Nieder

1) A. a. O. S. 35.

2) Österr. Urbare I. 1 (1904) Einl. p. CXXXII.

3) v. Schwind-Dopsch, Ausgew. Urk. z. VG. d. österr. Erblande im M. A. Nr. 71.

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