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Beiträge zur Geschichte

der politischen Literatur Erankreichs in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.

I. Teil.

(Vgl. Bd. XXXI1 S. 102 ff.).

III. Das Eindringen des politischen Elements in die Reformationsliteratur. (1560).

Gegenüber der Ausdehnung und polemischen Schärfe, zu welcher sich die religiöse Reformationsliteratur bereits in den ersten Jahrzehnten nach dem Eindringen der Reformation in Frankreich erhebt, bleibt die Betonung der abweichenden politischen Parteistellung der Bekennerschaft des neuen Glaubens noch lange im Rückstand. Der religiöse Kampf um Luthers und Kalvins Lehre war schon lange entbrannt, ehe noch die Partei des neuen Glaubens ihrer ängstlichen Enthaltung von jedem politischen Hervortreten entsagt hatte, und der Gegensatz der Glaubensmeinungen zu einer auch für das staatliche Leben bedeutungsvollen Frage geworden war. Trotz der Kühnheit, mit welcher die Gelehrten und Dichter der Reformation in Traktaten und Poesieen ihrem Eifer für die Sache des neuen Glaubens Ausdruck gaben, war und blieb die Entfaltung einer den politischen Vorgängen gewidmeten Literatur im Lager der Bekennerschaft des neuen Glaubens eine Unmöglichkeit, so lange der Druck einer von fanatischem Verfolgungseifer geleiteten Regierung auf der Reformationspartei lastete und alle selbständigen Regungen unterdrückte.

Wie sehr die Herausbildung politischer Züge im Charakter der Reformationsliteratur von dem öffentlichen Hervortreten der Bekennerschaft des neuen Glaubens bedingt ist, lehrt die kleine Gruppe derjenigen Poesieen, welche nicht bloß zuerst die der späteren Zeitliteratur eigentümliche Verschmelzung und Verwechslung religiöser und politischer Gegensätze aufweisen, sondern auch als die frühesten der unter den Gegnern der Reformation entstandenen Dichtungen Beachtung verdienen. Sie knüpfen an einen im Jahr des Bauernkriegs (1525) unternommenen Aufstandsversuch der lothringischen Landbevölkerung an, welcher von dem damaligen Herzog von Lothringen, Anton dem "Guten", blutig niedergeschlagen wurde. An sich war die ganze Unternehmung ebenso unbedeutend, wie ihre Unterdrückung blutig

und ruhmlos, und kaum einer dichterischen Verherrlichung wert zu nennen. Aber das hinderte nicht, daß sich die Dichtung des willkommenen Stoffes bemächtigte, um den Ruhm des Herzogs zu besingen und den Hass gegen die aufrührerischen Bauern, in welchen religiöser Eifer oder böswillige Absicht nichts anderes als lutherische Ketzer erblickte, Luft zu machen. Nicolas Volleyr de Géronville, maistre ès arts, secrétaire et historien de Mr le duc de Lorraine, machte die Unterdrückung des Bauernaufruhrs zum Gegenstand einer ausführlichen Schilderung, in der ihn die Ruhmredigkeit nicht immer die Parteilichkeit im Zaume halten ließ.1) Laurent Pillard, oder wie er sich mit lateinischem Namen nannte, Pilladius, ein Kanoniker von Saint-Dié, widmete den Taten des Herzogs im Kampfe gegen die aufrührerischen „Rustauds," mit denen er, gerade wie Nicolas Volleyr de Géronville, mutwillig die „Luthériens" zusammenwarf, sogar ein umständliches lateinisches Epos in sechs Gesängen, dem er den stolzen Titel Rusticiade" beilegte.2) Den von Pilladius in weitschweifigem und patetischem Stil ausgesprochenen Gefühlen des Hasses gegen die lutherischen Ketzer gab ein anderer Kleriker, Jean Ledoux (Dulcis) 3) Ausdruck in einer kurzen, in französischer Sprache abgefaßten Dichtung,4) in welcher er der Stadt Straßburg, dem damaligen Sammelplatz der lothringischen Lutheraner, und ihren ketzerischen, von dem „hérétique maudit“ François Lambert bekehrten Bewohnern ins Gewissen redet und ihnen das Strafgericht Gottes und die härtesten Höllenqualen („furies infernalles") durch Cerberus, Charon und Rhadamanthus in Aussicht stellt, falls sie dem Ketzerglauben zu entsagen säumen sollten. An Natürlichkeit und Wucht der Sprache wird die Dichtung des Ledoux von zwei anonymen Poesieen überragt, welche in markigen Strophen dem Hass gegen die neue Lehre und der Freude über das Strafgericht an den Lutheranern Ausdruck

1) „L'Histoire et recueil de la triumphante, et glorieuse victoire obtenue contre les séduyctz et abuséz Luthériens mescréants du pays d'Aulsays et autres par très hault et très puissant prince et seigneur Anthoine, par la grâce de Dieu duc de Calabre, de Lorraine et de Bar, etc., en deffendant la foy catholique, nostre mère l'Eglise et vraye noblesse, à l'utilité et proffit de la chose publique." Paris, chez Galliot du Pré. 1526 (in -4°)

2) vgl. Bull. II. (1854) S. 638. Über den Verfasser vgl. auch Schmidt, Histoire litéraire de l'Alsace à la fin du XVe et au commencement du XVIe siècle. II. (Paris 1879) S. 131. 132.

3) Der Verfasser nennt sich, das bekannte Verfahren volkstümlicher Sänger nachahmend, am Schlusse seiner Dichtung selbst, wenn er die Stadt Strafsburg anredet:

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4) Chanson nouvelle augurative de Strasbourg" (sur le chant: Regrets, soucy

et peine“) in Bull. IX (1860) S. 381.

geben, und unbedenklich das Beste sind, was jene Vorperiode politischer Reformationspoesie hervorgebracht hat.5)

Mit der Hereinziehung des politischen Moments in die Zeitliteratur sind die im Anschluß an die lothringische Affäre entstandenen Dichtungen der Entwicklung vorangeeilt, welche die übrige Literatur genommen hat. Die Enthaltung von politischer Parteinahme war und blieb ein Kennzeichen der Reformationsliteratur in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts und ließ eine Betrachtung der Zeitereignisse nach ihrer politischen Seite nicht zu ihrem Rechte kommen. Durch ihren frommen Eifer bestimmt, gefallen sich die Dichter des Kalvinismus, in der religiösen Würdigung der geschichtlichen Vorgänge. Matthieu Malingres Lied 6) auf Heinrichs II. Regierungsantritt kann dafür als ein zugleich auch dichterisch beachtenswertes Muster dienen. Der fromme Aufblick zu Gott, dem himmlischen Lenker der irdischen Könige, und fromme Ratschläge und Wünsche für das Wohlergehen der jungen Regierung, in welcher sich Malingre ergeht, lassen die schüchterne Bitte des Dichters um religiöse Freiheit, welche in den an den König gerichteten Worten

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Fay qu'en toute la terre tienne

„Sa (näml. Gottes) parolle aye cours“

liegt, kaum als Anspielung auf die von den Kalvinisten ersehnte Duldung ihrer Lehre erkennen.

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Zwei unmittelbar nach dem Tode von Franz II. (am 5. Dezember 1560) verfaßte Lieder zeigen gleichfalls einen durchaus religiösen Ton: das eine bei Bordier S. 201 Cantique solennel de l'église d'Orléans sur la délivrance que Dieu feit de son peuple le 5o décembre 1560 (sur le chant du pseaume 73) betitelt, gibt sich schon durch seinen Titel als einen im Stil der Märtyrerlieder gehaltenen Aufschrei der Erleichterung über die durch den Tod von Franz II. erhoffte Erlösung aus den Verfolgungen der irdischen Machthaber zu erkennen; und auch das andere, einer „Damoyselle françoise" zugeschriebene Lied auf den Tod von Franz II. 7) bewegt sich in frommen Betrachtungen über Gottes Urteile, welche sich in dem Tod

5) Die eine führt den Titel: Chanson de la deffaicte des Lutheriens, faicte par le noble duc de Lorraine et ses freres, avec l'ayde de leurs amys françoys et guerdoys; sur le chant: 0 bons François, loyaulx et preux. in: La Fleur des chansons. Les grans chansons nouvelles etc., pet. in 8o, neuher. von Techener (1833); abgedruckt bei Desnoyers, Bull. de la soc. de l'histoire de France I. (1834) S. 268. 269 und bei Le Roux de Lincy II. S. 97—99, vgl. auch Picot, Revue d'hist. lit. de la France II. (1895) S. 43, nr. 48. Die andere Chanson contre les Lutheriens" findet sich in: „La balade des leutheriens avec sa chanson." s. 1. n. d. (in-8°), wonach der Abdruck von Picot 1. c.

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6) In: Recueil de plusieurs chansons spirituelles tant vieilles que nouvelles M.

D. L. V. (s. o.) nr. 51. S. 123-125 (Bordier S. 199-201).

7) Chanson spirituelle sur le chant du psaume 72", enthalten in: Monologue de providence divine, parlant à la France. Envers MDLXI. (Bibl. Nat. Inv. Rés. Ye 4,430). Abdruck auch bei Bordier S. 204-207.

des jugendlichen Königs, in dem Leiden der kalvinistischen Bekenner und vor allem in dem Schicksal des unschuldig in Gefangenschaft schmachtenden Condé offenbaren; mit einem dem Stil der geistlichen Lieder entsprechenden Aufblick zu Gott, dem Erlöser aus dem Elend der Zeit und der Macht des Antichristen, als dessen häßlichstes Attribut auch hier die Messe erscheint, schließt das Lied.

Nicht viel anders ist der Ton eines längeren Gedichts auf die Regierungen Heinrichs II. und Franz' II. „Sur les règnes de Henri II et de François 11 (in: Bull. V (1856) S. 395-398), dessen anonymen Verfasser wir noch mehrmals zu erwähnen haben werden. Der Tod des schon in jugendlichem Alter entrissenen Königs und seines so plötzlich verstorbenen Vaters läßt den Verfasser zurückblicken auf die Regierungen beider Fürsten; überall sieht er das Walten Gottes und das Irren der Menschen. In dem plötzlichen Tod Heinrichs II., welcher eben noch die Gläubigen verfolgte, erblickt der fromme Sänger die Hand Gottes, die den König hinwegraffte „au milieu de jeux plaisans". In der Schilderung der Leiden, welche die Anhänger der neuen Lehre unter Franz II. zu erdulden hatten, in der Schilderung der Standhaftigkeit, mit welcher sie alle Qualen ertragen haben, stimmt der glaubenseifrige Kalvinist eine machtvolle Sprache religiöser Glut an, welche gar manche Märtyrerlieder an Wucht und Schwung übertrifft. Le flambeau que tu fay luire", so redet er die Regierungszeit Franz' II. an,

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Der Tod des Königs wird wie eine Erlösung der Gläubigen von ihren Leiden begrüßt. Die Dichtung klingt aus in ein Lob Gottes, der die Qualen der Bekenner des neuen Glaubens beseitigt hat, und in die Bitte, das Herz des neuen Königs zur Milde zu stimmen.

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Die auf dasselbe Ereignis bezüglichen „, Trois Sonnets au TrèsChrestien Roy de France Charles neufviesme"8) sind noch religiöser und biblischer gehalten: sie beten um Weisheit für den neuen König, der ein zweiter Josias werden soll, und halten dem König die Tugenden eines wahren Regenten und den Segen, den ein Leben und Regieren nach dem Willen Gottes einbringt, aber auch die traurigen Folgen

8) in: Mém. de Condé II. S. 220-222. Vgl. auch Lelong, Bibl. hist. de la France, S. 236. nr. 17795.

Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XXXII.

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einer etwaigen Vernachlässigung seiner hohen und erhabenen Pflicht vor Augen.

Daß auch der Tod Kalvins die frommen Sänger seiner Lehre zu religiösen Betrachtungen begeistern mußte, bedarf bei dem gleichmäßigen Eifer, mit welchem sich die frommen Sänger in der religiösen Betrachtung der Zeitereignisse ergehen, kaum noch der Erwähnung. Unter den Sängern, welche der Tod des Reformators erweckt hat, verdient Antoine de la Roche-Chandieu, einer der ersten Geistlichen der reformierten Gemeinde zu Paris (s. Bull. II (1854) S. 385), genannt zu werden. Unter den dem Tode des Altmeisters gewidmeten Sonetten, welche Chandieu unter dem Pseudonym Zamariel in einer Ausgabe von Bezas Gedichten („, Theod. Bezae pamata. Psalmi Davidici XXX. Sylvae. Elegiae Epigrammta cum alia varii argumenti, Epitaphia et quae peculiari nomine Iconas inscripsit omnia, in huc tertia editione, partim recognita, partim locupletata“) veröffentlicht hat, hebt sich ein Sonett hervor 9), in welchem Chandieu in aufrichtiger Trauer um den Tod des Reformators klagt und in poetisch nicht unwirksamer Weise den Gegensatz ausmalt, welcher zwischen den Wohltaten des lieblichen und erquickenden Monats Mai und dem Leid besteht, welches derselbe Monat durch den Tod Kalvins der Sache der Christen gebracht hat. Der Ton von Chandieus Dichtung ist noch ganz der der frommen Klage; die Würdigung des großen Reformators ist eine noch ausschließlich religiöse, bei der die hohe politische Bedeutung seiner Wirksamkeit noch völlig zurücktritt.

Einen politischen Charakter kann man der Reformationsliteratur überhaupt erst zusprechen mit dem Hervortreten der kalvinistischen Partei auf staatlichem Gebiete, wie es durch die mit dem Tode Heinrichs II. in der Regierung des französischen Königreichs vorgehende Wandlung bezeichnet wird. Die Erfassung und Betrachtung der zeitgeschichtlichen Vorgänge nach ihrer politischen Seite gewinnt erst mit dem Augenblick eine maßgebende Bedeutung, in welchem die Bekennerschaft des neuen Glaubens als eine staatlich organisierte Partei in die durch den Tod Heinrichs II. geschaffene Lage eingreift.

Der frühzeitige Tod Heinrichs II. lieferte seinen jugendlichen Nachfolger Franz II. dem Einfluß der bei den Kalvinisten als Führer der katholischen Sache verhaßten Guisen aus, die, unbekümmert um die Ansprüche des Königs von Navarra und des Prinzen Condé, die Vormundschaft des Königs an sich rissen und ein machtvolles Regiment am Hofe und im Lande zu führen begannen.

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9) Abdruck in Bull. IV (1856) S. 327. die anderen Dichtungen in Bull. VII (1858). S. 14, 15. Im ganzen enthalten die „Theod. Bezae pamata“ etwa 23 chansons auf Kalvins Tod, vgl. Bull. XXVIII (1879). S. 378. Über Chandieu vgl. La Croix du Maine I. S. 65; Du Verdier I. S. 182-184; Teissier, Eloges des Savans, (1715,) IV. S. 139-144; Niceron, Mémoires etc. XXII. S. 281-293; La France prot. III. S. 327-334, 2III. S. 1049-1058. Eine griechische Ode auf den Tod Kalvins von Florent Chrestien wird erwähnt France prot. III. S. 465.1, III S. 374.

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